Urwaldkauf in Paraguay: Interview mit Benno Glauser von unserer Partnerorganisation Iniciativa Amotocodie

19.11.2009


Benno Glauser, gebürtiger Schweizer, lebt seit 1974 in Lateinamerika und seit 1977 in Paraguay. Glauser setzt sich für soziale Minderheiten, insbesondere die Rechte und Zukunftschancen der Ureinwohner ein. Seit 2002 unterstützt er als Leiter der paraguayischen Organisation Iniciativa Amotocodie die Ayoreo-Indianer und den Schutz ihrer massiv von Abholzung bedrohten Urwald-Territorien.

RdR: Was hat Sie dazu bewogen, IA zu gründen?

Das zündende Motiv war Ende 2001 die Erkenntnis, dass ein großes Gebiet des ursprünglichen, noch unberührten Chacowaldes unmittelbar von der Abholzung bedroht war. Es lebten da auch Gruppen von Ayoreo-Indianern, die noch nie Kontakt zu unserer weißen Zivilisation gehabt haben. Sollten diese Gruppen geschützt werden – und das bedeutete gleichzeitig auch, den Wald ihres vielfältigen Territoriums zu schützen – musste rasch gehandelt werden. Fast der ganze Norden des paraguayischen Chacos ist ja Privatbesitz, und einige der Besitzer, darunter auch Deutsche, schickten sich gerade an, auf riesigen gerodeten Flächen Rinderfarmen einzurichten. Man muss sich das vorstellen: Wald, der für die Zukunft der Indianer aber auch für die Zukunft der ganzen Menschheit von vitaler Wichtigkeit ist, wird einfach abgeholzt, um ausschließlich private Profitinteressen zu befriedigen. Da auch die damalige Regierung nicht gewillt war einzugreifen, beschlossen wir, aktiv zu werden.

RdR: Welches sind die Ziele von IA, welche Erfolge hat die Organisation vorzuweisen?

IA betrachtet den Norden des Gran Chaco so, wie die Indianer es auch tun: als ein lebendiges Wesen, als einen lebendigen Körper. Es ist ein enormes, an vielen Orten noch mit ausgedehntem Wald bedecktes Gebiet, mit einer Größe von etwa 120.000 km2 (Ausdehnung des Ayoreo- Territoriums innerhalb der modernen politischen Grenzen von Paraguay). Das Gebiet der Ayoreo ist reich an natürlicher Vielfalt, aber unerhört empfindlich. Kleinste Eingriffe können es mit Leichtigkeit in Gefahr bringen und zerstören. Zu diesem Gebiet gehören auch Menschen, eben die Ayoreo. Für uns Nicht-Indianer ist es nicht so leicht zu verstehen, wie man als Volk mit einem Territorium so verwachsen und vereint ist, als gehörte es zum eigenen Körper: Man fühlt sich nur in diesem Territorium glücklich, man braucht es wie die tägliche Nahrung. Nun, Ziel von IA ist es, diese Lebenseinheit zwischen dem Chacowald und seinen Menschen zu erhalten. Gleichzeitig ist diese Aufgabe aber auch ein Lernfeld, welches Impulse vermittelt, die auch anderswo wichtig sein können. Heute ist ja unsere Lebenswelt, eines jeden Territorium, sozusagen, überall bedroht. Also hat es sich IA auch zum Ziel gesetzt, das hier in unserer Arbeit Erlebte und Gelernte nach Außen hin zu vermitteln und mitzuteilen. Schließlich ist auch die Erde ein Körper, und was hier lokal geschieht, betrifft die ganze Menschheit.

RdR: Welche Bedeutung hat der Chaco?

Der Chaco heißt eigentlich Gran Chaco Americano und erstreckt sich auf weite Teile der drei Länder Paraguay, Argentinien und Bolivien. Nach dem Amazonasbecken ist es das zweitgrößte Ökosystem des südamerikanischen Kontinents. Im Unterschied zum Amazonasgebiet wird es aber bisher praktisch kaum wahrgenommen als Ökosystem. Vom Amazonasgebiet wurde gesagt, es sei ein für die ständige Erneuerung der Natur wesentliches Gebiet der Erde. Das gleiche kann auch vom Gran Chaco gesagt werden. Wegen seiner großen Verletzlichkeit steht er unter akuter Bedrohung – 2009 liegt die durchschnittliche Abholzungsrate für den Norden des paraguayischen Chaco nicht unter 1200 Hektar pro Tag! Es könnte sein, dass der Gran Chaco zerstört wird und verschwindet, bevor er von der Menschheit überhaupt wahrgenommen wird als eines der vitalen, noch erneuerungsfähigen Organe unserer Erde.

RdR: Wie läuft der Urwaldkauf konkret ab?

Sobald eine ausreichende Summe von Geldmitteln zur Verfügung steht, suchen wir zusammen mit der Ayoreo-Organisation UNAP käufliche Landstücke innerhalb des Territoriums, aus welchem die Bewohner im Laufe der letzten 50 Jahre vertrieben wurden. (UNAP vertritt die Interessen der bereits kontaktierten und heute am Rand unserer Zivilisation lebenden Ayoreo).

Es handelt sich um eine notfallmäßige, dringende Rettungsaktion einiger wesentlicher Gebiete des Territoriums, an denen der Schutz des Waldes besonders wichtig ist. Zum Beispiel Orte, die für den Zusammenhalt des ganzen Ökosystems eine wesentliche Funktion haben, oder Orte mit einer besonders großen Artenvielfalt. Die Ayoreo geben mit dem Kauf einzelner Gebiete aber den gesetzlichen Anspruch auf ihr Territorium als Ganzes nicht auf. Die in Frage kommenden Landstücke werden dann einer sorgfältigen Prüfung unterzogen, die bis zu mehreren Monaten dauern kann. Dabei wird vor Allem die Echtheit und Legalität der Landtitel geprüft. Erst nach bestandener Prüfung wird das Land gekauft.

RdR: Warum werden die Urwaldgrundstücke nicht auf den Namen deutscher Organisationen oder auf den Namen der Spender erworben?

Die paraguayische Staatsverfassung und auch spezifische Gesetze sichern den Indianervölkern ihr Anrecht auf ihre Territorien zu. Auch wenn sich solche Territorien heute in den Händen von großen Viehzucht- oder Agrobusiness- Unternehmen befinden und somit auf legaler Ebene widersprüchliche Anrechte geltend gemacht werden, müssen wir die indianischen Rechte respektieren. Das bedeutet für IA, dass bei Landkäufen der neue Landtitel auf das Ayoreo- Volk bzw. die Organisationen, die es legal vertreten, ausgestellt werden müssen. Für IA stellt dies gleichzeitig auch eine Garantie für den zukünftigen Schutz des gekauften Landes dar: Wer könnte es besser schützen als das Volk, das zu diesem Gebiet gehört und dasselbe als Teil von sich selbst erfährt? Allerdings setzt diese Haltung voraus, dass man Indianer sozusagen als vertrauens- und kreditwürdig betrachtet. Das tun viele Leute leider noch nicht, sie haben dann Angst, das gekaufte Land werde nicht geschützt, und möchten es gerne selber machen. Private Landkäufe im eigenen Namen sind andererseits aber sehr schwierig und natürlich auch kostspielig, und oft misslingen sie dann auch.

RdR: Ist der Urwaldkauf ausreichend, um die Natur des Chaco und der Ureinwohner zu erhalten?

Selbstverständlich nicht. Es handelt sich ja um vergleichsweise kleine Gebiete. Aber die Käufe schaffen wichtige Impulse. Die Ayoreo fühlen sich ungemein gestärkt, einfach durch die Tatsache, dass ihnen die gekauften Gebiete jetzt Niemand mehr streitig machen kann, und dass sie wenigstens ein paar Teile ihres Territoriums wieder ihr eigen nennen können. Wie bereits gesagt: Landkäufe zum Schutz des Waldes und der zum Wald gehörigen Menschen bedeuten nicht, dass der Kampf um den umfassenden Schutz der Natur – in diesem Fall des Gran Chaco mit Allem, was dazugehört – aufgegeben werden kann. Im Gegenteil: Landkäufe können und sollen dazu dienen, das Gesamtanliegen in den Vordergrund zu stellen.

RdR: Was hat Deutschland/Europa mit der Rodung des Chaco zu tun? Was müssen wir in D/EU ändern?

In europäischen Ländern wird das Fleisch, welches in Paraguay produziert wird, konsumiert. Kürzlich haben einige Großverteiler in Europa den Verkauf von Produkten eingestellt, weil deren Produktion in direkter Weise auf im Amazonasgebiet abgeholzten Flächen geschieht. Diese Aktion sollte auch auf den paraguayischen Chaco ausgedehnt werden. Je mehr Fleisch man in Deutschland konsumiert, umso stärker wächst auch die Bedrohung für den Chacowald. In Deutschland wird bei fröhlichen Barbecue-Anlässen auch Holzkohle verbrannt, die aus dem paraguayischen Chaco exportiert wird. Die paraguayische Regierung reguliert weder den Fleisch noch den – vergleichsweise etwas weniger belastenden – Holzkohleexport. Die EU könnte das jedoch tun, das wäre eine für unsere Umwelt hier im Chaco wesentliche Maßnahme. Auch die deutsche Regierung sollte in ähnlicher Weise eingreifen.

Mehr Informationen zum Urwaldkauf und zu den Ayoreo-Indianern in Paraguay finden Sie hier.

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