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RegenwaldReport 02/2005

Mord an Schwester Dorothy Stang

Der Tod der Nonne Dorothy Stang traf Brasilien wie ein Schock. Seit 1988 der Gummizapfer Chico Mendes ermordet wurde, hat sich in Amazonien wenig geändert – weil die Regierung die unklaren Eigentumsverhältnisse nicht regelt

„Dies ist meine Waffe,” sagt Dorothy Stang und nimmt ihre Bibel. „Selig sind, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden”, liest die 73-jährige Nonne.

Doch ihr Gegenüber zeigt sich von solchen Worten unbeeindruckt. Mit sechs Schüssen streckt Rayfran das Neves Sales (27) die Ordensfrau nieder. Wenige Tage später sind der Täter und zwei Helfershelfer verhaftet. Der eindeutig identifizierte Auftraggeber, ein Farmer und Sägewerkbesitzer, soll ihnen umgerechnet 15.000 Euro versprochen haben. Doch einen Monat nach dem Mord ist er immer noch nicht gefasst.

„Schwester Dorothy wurde von jenen ermordet, die Amazonien nur für sich wollen, die das Land ausbeuten, wenn es sein muss, auch mit Waffengewalt”, predigte Bischof Erwin Kräutler vom Bistum Xingu auf der Beerdigung der Nonne, die 1966 aus den USA nach Brasilien gekommen war: „Sie träumte von einem anderen, einem gerechten und solidarischen Amazonien, wo alle das Recht auf Leben haben, das Recht auf Aussaat und Ernte.”

Weit über Brasilien hinaus ist Dorothy Stang zur neuen Symbolfigur des Widerstandes gegen die Zerstörung des Regenwaldes geworden – vergleichbar mit dem Kautschuksammler Chico Mendes, der Ende 1988 von Großgrundbesitzern erschossen wurde. Wenig später stand Amazonien auf der Agenda der Weltpolitik. Im westlichen Bundesstaat Acre nahmen Sammlerreservate für die Gummizapfer Gestalt an, wie sie Mendes immer wieder geforderte hatte. Nun könnte auch der Mord an Stang zu konkreten Reformen in Amazonien führen, hoffen AktivistInnen und ExpertInnen.

Grillen und Landklau

Die wichtigste Ursache der Konflikte, vor allem im Bundesstaat Pará, der dreieinhalb mal so groß ist wie Deutschland, ist die illegale Aneignung von öffentlichem Land. Die Täter heißen „grileiros”: Um gefälschte Dokumente älter wirken zu lassen, stecken die Landdiebe sie gerne in Schachteln voller Grillen. Angebliche, längst hinfällige Konzessionen, etwa für die Ausbeutung von Kautschuk, werden anschließend in abgelegenen Notariaten beglaubigt. Dadurch lassen sich Ansprüche auf das Land ableiten. Wenn staatliche Stellen derartige „Landtitel” anerkennen, kann man sie bequem weiterverkaufen.

Die Landdiebe bleiben in der Regel ungeschoren. Obwohl sich beispielsweise ab 1975 ein Phantom namens Carlos Medeiros auf diese Weise eine Fläche von der Größe Portugals aneignete, ist es seither nicht gelungen, diese illegalen Titel zu annullieren und die dahinter stehenden Spekulanten zu verurteilen.

Damals lockte das Militärregime Unternehmer und Kleinbauern nach Amazonien, um die Region zu „entwickeln” und Landkonflikte anderswo zu entschärfen. Auch dabei wurden selten klare Eigentumsverhältnisse geschaffen. Und anders als bei der Kolonialisierung der USA gab es in Brasilien nie Obergrenzen für erlaubten Landbesitz. Heute bieten manche „grileiros” Grundstücke auf Satellitenfotos im Internet an, aber unverändert gilt das Gesetz des Stärkeren.

Der Kreislauf der Zerstörung wiederholt sich tausendfach: Die Holzmafia übernimmt die Abholzung des Tropenwaldes und die Vertreibung der Kleinpächter, die sie zuvor benutzt hat. Anschließend überziehen allmählich Rinderherden die gerodeten Ländereien. Der Fleischexport, auch nach Europa, boomt. Der letzte Schritt ist häufig die Umwandlung dieser Weiden in weitflächige, hochmechanisierte Sojaplantagen. Die von der Sojalobby mitfinanzierten Straßen wiederum locken weitere Kleinpächter und Holzfäller in den Regenwald. Die Knochenarbeit bei der Rodung und auf den Farmen übernehmen oft arme Zuwanderer aus dem Nordosten, die in sklavenähnlicher Abhängigkeit gehalten werden.

Anapu, wo sich Dorothy Stang für arme Kleinbauern eingesetzt hatte, ist ein Paradebeispiel für diese Entwicklung – und für mögliche Alternativen. Nach dem Bau der Transamazônica-Straße vor 30 Jahren sollten hier Großfarmen installiert werden. Unternehmer sollten nach der Erfüllung eines Fünf-Jahres-Plans 3.000 Hektar große Areale überschrieben bekommen. Doch obwohl die wenigsten Grundstücke intensiv genutzt wurden, forderte der Staat das Land nicht mehr zurück.

23 neue Sägewerke

In den 80er Jahren rodeten arme Kleinpächter die abgelegeneren Teile der Ländereien, und nun dreht sich fast alles ums Holz: Die Einwohnerzahl der 12.000-Quadratkilometer-Gemeinde hat sich in den letzten fünf Jahren auf 30.000 verdreifacht, statt zwei Sägewerken gibt es nun 25. Mit einem Urwaldriesen lassen sich bis zu 5.000 Euro verdienen.

Doch die Menschen vor Ort haben wenig von dem Reichtum: Die Pächter, die ihre Parzellen erschließen, erhalten pro Baum gerade 60 Euro. Oder sie überlassen den Holzfirmen für 1.000 Euro die Erlaubnis, ein Fünf-Hektar-Areal zu roden. In Anapu grassieren Malaria, Wurmkrankheiten und Hunger. In der sechsmonatigen Regenzeit bleiben die Wege auf dem Land weitgehend unpassierbar.

Einen Versuch, den Raubbau zu bremsen, stellen die „Projekte für nachhaltige Entwicklung” dar, die organisierte Kleinbauerngruppen und Kirchenleute um Dorothy Stang dem Staat in den letzten Jahren abgetrotzt haben. Mit Unterstützung aus Brasília sollten in Anapu 600 Familien den Regenwald nutzen, ohne ihn zu zerstören, etwa durch kontrollierten Holzeinschlag, den Anbau von Grundnahrungsmitteln oder die Verarbeitung einheimischer Früchte.

Seither wurden die AktivistInnen immer wieder von den Mächtigen Anapus und deren Pistoleiros bedroht. Doch im örtlichen Gefängnis sitzen Kleinbauern, selbst gegen Dorothy Stang wurde wegen der „Bildung einer kriminellen Bande” ermittelt. Dass es auch anders geht, zeigte sich wenige Tage nach dem Mord: Ein Regionalgericht gab grünes Licht für die Übertragung von weiteren 6.000 Hektar Land an die Entwicklungsprojekte.

Bislang war dieses „neue Modell einer Agrarreform” in Anapu kaum vorangekommen. Unter der Regierung von Fernando Henrique Cardoso (1994 bis 2002) blockierte es der Gouverneur von Pará, ein Parteifreund des Präsidenten. Auch Luiz Inácio Lula da Silva hat sich mit Teilen der regionalen Eliten verbündet. „Sowohl die Landesregierung als auch Brasília waren im Bilde, aber passiert ist wenig,” sagt José Batista Gonçalves von der katholischen Landpastoral CPT. „Die Regierungen in Pará haben die Holzfäller und die Großgrundbesitzer immer unterstützt, denn die haben viel Geld und auch politischen Einfluss”.

Nun hat Lula weitere Maßnahmen angekündigt, die schon seit zwei Jahren in den Schubladen des Ministeriums bereit lagen: Im Kerngebiet des in Pará noch erhaltenen Regenwaldes, der Terra do Meio, werden Naturschutzgebiete mit einer Gesamtfläche von 50.000 Quadratkilometern eingerichtet. Weitere 80.000 Quadratkilometer entlang der Bundesstraße von Cuiabá nach Santarém, deren Asphaltierung bevorsteht, sollen vorübergehend ganz „blockiert” werden. Bereits im Dezember hatte das Ministerium für ländliche Entwicklung ein Dekret erlassen, wonach Holzfirmen und Großgrundbesitzer das Anrecht auf die von ihnen genutzten Ländereien nachweisen müssen.

772 Morde

José Batista Gonçalves fordert eine stärkere Präsenz der Bundesbehörden, vor allem der Bundespolizei und der Umweltbehörde. Die gut 2.000 Soldaten, die Lula in die Region geschickt hatte, könnten wenig ausrichten, sagt Gonçalves, denn „für Entwaldung, Landraub, Sklavenarbeit oder die Agrarreform sind sie nicht zuständig”. Durch die schleppende Zuweisung von Land und die „fast vollständige Straflosigkeit” würden die Konflikte in Pará ebenfalls angefacht: „Nach unseren sehr unvollständigen Daten sind seit 1971 mindestens 772 Landarbeiter in Pará ermordet worden. Gerade drei Auftraggeber wurden verurteilt, doch hinter Gittern sitzt keiner”.

Auch die anhaltende Unterstützung des Agrobusiness durch Brasília wird von der CPT kritisiert – „Sojakönig” Blairo Maggi (siehe Artikel "Weltbankdollars für den Sojakönig") zählt ebenfalls zu den Verbündeten des Staatschefs. Die Devisen aus dem Sojaexport tragen dazu bei, dass der Schuldendienst bedient werden kann. Einem neoliberalen Sparkurs fallen auch jene nachhaltigen Konzepte zum Opfer, die Lula noch 2002 im Wahlkampf vertreten hatte und für die Umweltministerin Marina Silva steht.

Daher sei es „wichtig, dass national und international der Druck auf die Regierung anhält”, meint José Batista Gonçalves. „Lula muss sich mit mächtigen Interessen anlegen, sonst bleibt es bei Versprechungen”.

Gerhard Dilger

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