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RegenwaldReport 02/1997

Stern-Artikel: Mord im Regenwald

Erst brechen Holzfirmen Straßen in den Dschungel Afrikas und fällen die wertvollen Bäume. Dann kommen Wilderer und killen die Tiere. Der STERN erlebte mit Naturschützern das Gemetzel in Kamerun

Egbele Seulemond, von Beruf Wilderer, federt in seinen leichten Sandalen hurtig durch den Urwald. auf einem Pfad. den nur er zu erkennen vermag. Dabei gibt er Warnungen nach hinten durch: »Achtung, hier sind viele Schlangen... Passt auf diese Ameisen auf. wenn die euch beissen. seid ihr für Tage hinüber... Hütet euch vor diesen Stacheln. die verätzen viehisch!« Hinter ihm hasten ein paar schweissnasse Europäer durch den Urwald. "Wie weit der laufen muss. bevor er zu seiner ersten Schlinge kommt. Entlang der Strasse ist ja schon alles gekillt", stellt Karl Ammann nach 40minütigem Marsch durch ein Paradies fest, dessen Unheimlichkeit sich gemeinhin nur bei alten Tarzan-Filmen erahnen lässt. Doch das hier ist verfluchte Wirklichkeit in Kamerun. Der Schweizer Fotograf und Co-Direktor der Tierschutz-Organisation WSPA ist hierhergekommen. um zu prüfen, ob das Abschlachten geschützter Tiere unvermindert anhält. Hinter ihm stapft Reinhard Behrend. Er ist erregt. Selbst seine nackten Waden wippen vor Empörung. Der Vorsitzende der Umwelt-Organisation »Rettet den Regenwald« will im Osten Kameruns dokumentieren, wie die letzten Regenwald-Ressourcen vernichtet werden,

In jeder Minute stirbt weltweit Regenwald in der Größe von 16 Fußballfeldern

Um das zu verhindern, tagt - fünf Jahre nach der großen Umwelt-Konferenz von Rio - vom 23. bis 27. Juni eine UN-Nachfolge-Konferenz, hochtrabend angekündigt als »zweiter Erdgipfel«. Doch ist zu befürchten, dass in New York nicht nur US-Präsident Clinton, sondern auch Bundeskanzler Kohl das Klima schön- und die Regenwälder gesundreden wird. Weltweit verschwindet Minute für Minute Regenwald in der Grösse von 16 Fussballfeldern_ Damit stirbt die Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren. Wird der Raubbau fortgesetzt, ist in 40 Jahren das Ende des Regenwaldes und seiner Bewohner besiegelt.

Für einen Schimpansen 13 Mark

Wie das grosse Massaker en détail passiert. erleben Ammann und Behrend bei der ersten von 40 Drahtschlingen: Ein Gürteltier hängt erdrosselt darin. Egbele freut sich. Es bringt ihm umgerechnet sieben Mark an der Strasse, wo schwer beladene Holz-Trucks roten Staub aufwirbeln. Über eigens durch den Urwald geschlagene Pisten schaffen sie die lukrativen Tropenholzstämme zum Atlantikhafen Douala. Die Holzfahrer kaufen die erlegten Tiere gern, denn beim Weiterverkauf können sie in den Camps und Ortschaften entlang der Strasse den dreifachen Preis nehmen. Bei der dritten Schlinge ist von weitem das Umsichschlagen einer Schopfantilope zu hören. Kaum sieht das Tier die Menschen, fängt es in Todesangst zu schreien an. Egbele schneidet ihm die Kehle durch. »Fünf Mark bekommt er dafür in den Dörfern«, sagt Ammann. und Reinhard Behrend schimpft: »Verfluchter Stoll!« Hinrich Lüder Stoll, Chef der Bremer Holzimportfirma Hinrich Feldmeyer, schlägt mit seiner Tochterfirma CIB in einer Konzession im Norden des Nachbarstaates Republik Kongo ein. Er hat eine Strasse nach Kamerun gebaut und liefert mit Lastwagen jährlich bis zu 150 000 Kubikmeter Holz quer durch Kamerun zum Hafen von Douala. Obwohl Egbele nicht in Stolls Gebiet jagt, ist für Behrend der Name Stoll Synonym für alle Konzessionäre, die in den Regenwald eindringen.

79 Prozent des afrikanischen Regenwaldes sind durch Holzeinschlag bedroht

Seit Jahren bekämpfen sich die beiden, trafen sich gar vor Gericht. Dabei musste Behrend in einem Vergleich die Beschreibung Stolls als »Umweltkrimineller schlimmsten Ausmaßes« zurück- und die Prozesskosten übernehmen. Aber jetzt hat er Grund zur Freude: Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung untersuchte die Welt-Naturschutz-Union IUCN im vergangenen Jahr die Zustände bei CIB. Fazit: Die Folgen der sägensreichen Tätigkeit Stolls sind so erschreckend, dass Bonn den Bericht zunächst nicht veröffentlichte, dann eilig mit ausgewählten Umwelt-Verbänden eine Fachtagung anberaumte - ohne Behrend, mit Stoll. »Wie die vor der Holzwirtschaft kuschen!« kommentiert Behrend und zitiert. von Schlinge zu Schlinge hastend, die IUCN-Ergebnisse: Stolls Holzwirtschaft schaffe »mittel- und langfristig eine bedrohliche Situation für Ökologie, Wirtschaft und die Menschen im Nordkongo«. Stoll könne weder einen Management-Plan vorlegen noch irgendwelche »Angaben über Wachstums- und Ertragsraten der eingeschlagenen Baumarten machen«. Die Wilderei habe sich »rapide ausgebreilet«. Die Fahrer nehmen, trotz Verbots, Wildfleisch auf ihren Lastern mit, von Elefant bis Papagei. »Die Erschliessung durch Strassen und die Invasion zahlreicher Jäger zerstören die Lebensweise der Pygmäen«, zitiert Behrend die Studie, »die Jagdaufseher müssen hilflos zusehen, wie die Tiere von professionellen Jägern geplündert werden. Das ganze System bricht zusammen.« Stolls CIB ist der mächtigste Arbeitgeber im Norden des Kongo. Selbstgerecht hindert er ihm unangenehme Besucher wie Ammann, Behrend oder die englische BBC daran, das Gebiet seiner Holzkonzession zu besuchen. »Weil er genau weiss«, meint Behrend, »dass es für den Regenwald keine ökologisch sinnvolle Forstwirtschaft geben kann.« Dabei ist Stoll, das bestätigt auch die IUCN-Studie, einer der wenigen Konzessionäre, die ihre Arbeiter hinsichtlich Gesundheit, Wohnung und Verdienst überdurchschnittlich gut versorgen. Behrend kniet vor dem riesigen Kothaufen eines Waldelefanten nieder, puhlt kastaniengrosse Samen raus und deklamiert umdampft: »Wer Elefanten abschlachtet. verhindert die Verbreitung wertvoller Bäume!« Wer je gesehen hat, was alles zerstört wird, um einen einzigen Baum aus seinem natürlich gewachsenen Ökosystem zu holen. mag Stoll und anderen Verfechtern eines ökologisch angeblich sinnvollen Holzschlages nicht mehr trauen: Riesige Caterpillars planieren Strassen durch den Urwald. Das geht so rasant, dass Behrend Teile einer Schlange aufhebt, die es nicht mehr geschafft hat, dem Wüten zu entkommen. Fußballfeldgroß werden Sammelstellen für die gefällten Urwaldriesen freigeschoben. Schon dringen unheimliche Geräusche ans Ohr, als ob Steven Spielbergs Tyrannosaurus Rex Ammann und Behrend erschnuppert hätte. Es sind »Timberjacks«, gewaltige Schlepper auf übermannshohen Ballonreifen, die riesige Stämme durch den noch unbeschädigten Urwald zerren. Kein Waldelefant trompetet mehr, kein Affe kreischt, keine Antilope huscht vorbei. Neben den Dieselmotoren ist nur noch ein Geräusch zu vernehmen, fern und doch unerbittlich: das Jaulen der Motorsägen. »Man sollte an jeden Baum einen Sticker kleben, auf dem steht: >Wir killen den Baum, wir killen die Tiere, wir killen das Klima, wir killen die Menschheit - kauft uns. kauft!< Unterschrift: 'Ihre Tropenabholzer'«, sagt Behrend wütend. »Nur neun Prozent der Einnahmen bleiben im Ursprungsland. Die Holz-Mafia plündert die Länder aus.« Mit seiner Boykott-Idee gelang es Behrend, in Deutschland Tropenholz aus nahezu allen Baumärkten zu verbannen. Karl Ammann drang zuletzt bis in die EU vor und hat gute Chancen, mit Brüsseler Geldern für Artenschutz in Afrika zu sorgen. Kein Fortschritt ohne Rückschlag«, heizen sich die beiden Naturschützer in Zeiten der Depression auf und nehmen jeden Strohhalm zur Tröstung. Behrend freut sich zum Beispiel über »die Rache des Tropenholzes«: Vor der neuen Bibliothek in Paris wird zur Treppe verarbeitetes Tropenholz bei Kälte knochenbrechend glitschig. »Und Flöten aus einem bestimmten Tropenholz machen dem Musikus ein Giftmaul.« Karl Ammann dokumentiert seit Jahren die Vernichtung geschützter Tiere im Gefolge der Holzindustrie. Für ihn hat sich im Vergleich zur letzten Reise nichts geändert: Überall vor den Hüitten hängen Tiere zum Verkauf, nach denen sich europäische Zoos die Finger lecken würden: Neben kleinen Krokodilen, Raubvögeln, Papageien, Dschungelkatzen, Gürteltieren, Waldantilopen sind es vor allem Menschenaffen. Entlang den Holzfällerstraßen haben sich Wilderer-Camps ausgebreitet. Überall steigt Rauch aus den Hütten, ein Zeichen. dass erlegte Beute mit Fell und Kopf und Pfoten geräuchert wird. Auf den Märkten in der Hauptstadt Yaoundc zahlt der Kunde für zwei geräucherte Gorilla-Hände zur Zeit umgerechnet 17 Mark, für dieselbe Menge Rindfleisch sieben Mark.

Die meisten Affenbabys sterben beim Schrot-Schuss auf die Mutter. Bleiben sie unverletzt, müssen sie verhungern

Wilderer Bima Dieudonné, 23, zeigt stolz seine Gorilla-Schädelsammlung. Den letzten Gorilla hat ei gerade gestern verkauft. Für umgerechnet 100 Mark. »Ich töte am liebsten Gorillas. Da krieg' ich mit einer Patrone das meiste Fleisch.« Rund 2000 berufsmässige Wilderer leben allein in Kamerun. »Wie sollen die Menschenaffen überleben?« fragt Ammann. »Es wird immer genug Affen geben. Die haben doch Babys!« tröstet ihn Bima. Meist sterben die Babys beim Schuss auf die Mutter mit. Überleben sie, steht ihnen der langsame Tod bevor. Vor Yokadouma zeigt eine Frau dem Tierschützer Ammann ihr »Baby«. Der kleine Schimpanse hat offensichtlich seit Tagen keine Nahrung bekommen. Das Affenbaby klammert sich an das Bein eines Jungen. Der stösst es weg. Afrikanische Kultur kennt kein Bambi-Mitleid, wie es westlichen Seelen eingepflanzt wird. Ammann bittet die Frau, Babynahrung. die er immer dabei hat, aufzuwärmen. »Ich lass mir von euch Weissen doch nichts befehlen!« sagt die und verlangt 50 Dollar, weil Ammann den Schimpansen fotografiert. Nachbarn sammeln sich. Einer brüllt: 'Wir konnen euch umbringen! Glaubt ja nicht, dass ihr Bleichköpfe sicher seid!« Da zischt Behrend auf ihn zu: »Sag das noch mal! Wen willst du killen?« Die Fronten zwischen Weiss und Schwarz verhärten sich. Ein Stein fliegt. Die Weissen fahren trotzig zur »Minef«. Die Behörde soll dafür sorgen, dass die Wald- und Tierschutzgesetze eingehalten werden.

"Was hier mit Wäldern und Tieren passiert, ist das größte Verbrechen des Jahrhunderts"

Der Chef der Minef in Yokadouma findet die Forderung Ammanns, den kleinen Schimpansen gemäss Gesetz zu konfiszieren und ihm für das Affen-Waisenhaus in Limhe mitzugeben, lästig. Aufgehetzt von der Affenbesitzerin, werden die beiden Weissen »wegen Verunglimpfung der Würde Kameruns« verhaftet. Zuvor hatte der Polizeichef versucht, Ammmanns Hotelzimmer zu durchsuchen. Doch der Schweizer baut sich - plötzlich hoch wie das Matterhorn - vor ihm auf und lässt ihn nicht vorbei. Vor soviel Todesmut im Kampf um ein kleines Adenviech kapituliert die Staatsgewalt. »Wenn es ums Prinzip geht. steh' ich auf und kämpfe«. sagt Ammann später. »Auch wenn wir weiss sind, wir haben im Fall der Affen und Regenwälder recht. Jetzt müssen wir den Stock rausholen.« Auf dem Revier schäumt ein Polizist: »Erst habt ihr zu Hause alle eure Tiere gefressen,. und jetzt wollt ihr uns verbieten, was wir immer gemacht haben.« Irgendwann wird der Schimpanse geholt - von Nkoumou Ndo, der im blitzneuen Toyota Landcruiser der GTZ vorfährt. Die »Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit« betreut aus Steuergeldern im Auftrag Bonns Entwicklungshilfeprojekte. Ndo zu Ammann und Behrend: »Ihr elenden Banditen! Treibt euch im Land herum und beleidigt uns Kameruner!« Auf die Frage des STERN, wie er sich als Supervisor der Minet den Wagen der GTZ unter den Nagel reissen konnte, antwortet er erst: »Das geht Sie einen Dreck an«. bevor er etwas über ein »Projekt der GTZ« grummelt. Und seine Frau beobachte dort als Sekretärin, »ob die Weißen alles richtig machen« .Auf die nächste Frage. warum er denn mit dem GTZ-Fahrzeug Wahlveranstaltungen der Regierungspartei organisiere, dreht er sich wortlos ab. Als Ammann schliesslich mit dem kleinen Affen losfährt, schreit ein Polizist hinterher: »Das nächste Mal essen wir die Affenbabys gleich mit!« Das Gesetz gilt nichts in Kamerun, Korruption alles. Eugene Juretzko, Bischof von Yokadouina, beklagt den Verfall Kameruns: »Der politische Wille zur Demokratie ist nicht vorhanden. Das Plündern geht weiter.« Und Lambert van Heygen, Bischof von Bertoua. warnt: »Unfälle für Leute wie euch sind hier schnell arrangiert. Doch wenn ihr lebend rauskommt, bitte, haut so hart auf den Putz. wie ihr könnt. Was hier mit Wäldern und Tieren passiert, ist das grösste Verbrechen des Jahrhunderts.« Ammann will die katholische Kirche zu einer Predigtkampagne gegen den Verzehr von Affen anstacheln. Verdutzt antwortet der polnische Missionar Jan Mielewski in Moloundou auf seine Beschwörungen: »Ich muss das wohl neu durchdenken. Allerdings«, und ein Hauch von Genuss fächelt das Gesicht des Missionars, der zunächst Koch werden wollte, »sind Kommunion und Firmung, Hochzeit oder Beerdigung ohne saftige Elefantenrüssel, Gorilla-Steaks medium oder würzig geräucherte Schimpansenköpfe hierzulande für die Katz" Er weiss von 40 Gewehren in seinem Missionsgebiet. »Im Jahr werden 300 Gorillas geschossen. Und wenn in fünf Jahren der Wald leer ist, werden meine Schäflein die Arme gen Himmel hoben und klagen: >Was hat Gott mit uns gemacht!'" Ammann schlägt ihm vor, gegen Kannibalismus zu predigen, denn Schimpansen-Gene gleichen zu 98,4 Prozent den menschlichen. Der Missionar wehrt listig ab: »Wie kann ich meinen Pygmäen Kannibalismus vorwerfen, wenn ich ihnen zugleich Fleisch und Blut Christi reiche'?« Nicht einmal die größte Gefahr schreckt den Gottesmann: Beim Affen-Schlachten können Viren in den Körper des Menschen gelangen. gegen die er wehrlos ist. Das Aids-Virus HIV etwa, möglicherweise vorm Affen übertragen, infizierte bisher über 22 Millionen Menschen. Mit DNS-Analysen wiesen jetzt US-Wissenschaftler im Schimpansenblut HIV-verwandte Viren nach, gegen die zwar Schimpansen resistent sind, nicht aber der Mensch. »Und das kann zu entsetzlichen Epidemien führen. Mit dem Ebola-Virus haben wir das ja schon erlebt.« Ammann hat sein Zelt in einem Wilderer-Camp aufgebaut. Er sitzt davor und versucht »Fritz«, wie er den kleinen Schimpansen taufte, Babynahrung einzuflößen. Ein Augenblick der Verzweiflung überfällt ihn: »Wie kann die Welt Wald und Wild helfen, wenn sich vor Ort keiner dafür interessiert?« Er drückt Fritz sanft an seine Brust. »Er muss den Herzschlag spüren«, sagt er. Doch Fritz ist schon zu geschwächt. Zwei Tage später stirbt er. »Schmeiß ihn in den Busch«. sagt Joseph Mbang. Der Berufswilderer, der mehr als 100 Gorillas erlegt hat, soll wegen seiner dabei erworbenen Kenntnis der Lebensgewohnheiten der Tiere von Ammann in einem neuen Reservat als Affenpfleger eingesetzt werden. »Nix da«, entgegnet Ammann, »ihr sollt endlich lernen, dass man auch vor Teren Achtung haben soll. Fritz bekommt ein Grab.« So schaufeln zwei Verwandte des Berufswilderers Joseph ein winziges Grab im zerschundenen Regenwald. Und lachen sich schlapp dabei. NIKLAS FRANK

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