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Kaapor besprechen sich im Amazonas-Regenwald
Die Ka'apor in Maranhão schützen sie ihr 5.320 Quadratkilometer großes Regenwald-Territorium Alto Turiaçu (© Andrew Johnson)

Amazonasregenwald in Brasilien zu verkaufen – fertig zum Abholzen

17.11.2025Die Zerstörung der Regenwälder Brasiliens geht immer weiter, schreibt hier unser Mitarbeiter Felipe Sabrina aus Belém. Eine der Ursachen ist die Logik des Privateigentums nach Vorstellungen aus Europa. Landtitel für die Indigenen sind die beste Lösung. Dabei unterstützt Rettet den Regenwald einige Gemeinschaften.


Wenn diese Überschrift Ihre Aufmerksamkeit geweckt hat, weil das Angebot so absurd und schamlos ist, dann glauben Sie mir: Es gibt viele solche Offerten, und für viele Menschen sind sie verlockend. In Brasilien werden jedes Jahr Tausende Hektar Amazonas-Regenwald illegal auf Internetseiten und über andere Kanäle verkauft. Die Käufer fällen dann die Urwaldbäume, verscherbeln die Tropenhölzer und verwandeln die gerodeten Flächen in Rinderweiden oder Monokulturen mit Soja, Mais oder Eukalyptusbäumen.

Seit knapp einem Monat bin ich mit meinen Rettet den Regenwald-Kollegen Guadalupe Rodríguez und Klaus Schenck in Brasilien unterwegs, um unsere Partnerorganisationen, indigene Völker und afrobrasilianische Gemeinschaften zu besuchen. Sie alle kämpfen gegen Landraub und die Zerstörung der Wälder durch die Fleisch- und Sojaindustrie, Bergbau und den Bau von Landstraßen, Schienennetzen und Häfen.

Jetzt sind wir in Belém an der Amazonasmündung angekommen. In der Hauptstadt des Bundesstaates Pará nehmen wir zusammen mit unseren Partnern am „Gipfel der Völker“ und der „COP der Völker“ teil. Die Veranstaltungen finden parallel zur Weltklimakonferenz COP30 der Vereinten Nation in Belém statt.

Hier in Belém steht die Rodung der Wälder der Erde - und ganz besonders des Amazonas-Regenwaldes, im Zentrum des Ringens, die globale Klimaerwärmung aufzuhalten. Denn nach der Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle, die Dreiviertel der klimaschädlichen Emissionen erzeugen, verursachen die Abholzung der Wälder und die industrielle Landwirtschaft knapp ein Viertel der Treibhausgase. Der Amazonas-Regenwald ist dabei von entscheidender Bedeutung für das Klima weltweit, da er riesige Mengen Kohlenstoff speichert, den weltweiten Wasserkreislauf beeinflusst und zur Regulierung der globalen Temperaturen beiträgt.

Ich bin Brasilianer, und selbst für mich ist es schwer zu verstehen, wie die Zerstörung der Regenwälder in Brasilien immer weiter geht, und die dafür verantwortlichen Personen nicht einmal zur Rechenschaft gezogen werden. Seit einem Jahrzehnt untersuche ich diese illegalen Aktivitäten und habe die wichtigsten Ursachen identifiziert, die dazu führen: Es ist eine koloniale Struktur sozialer und ökologischer Verbrechen.

Heute schreibe ich diese News, um den Leserinnen und Lesern von Rettet den Regenwald exklusive Informationen über diese Struktur zu bieten. Inhalte, die ich in Brasilien recherchiert habe, wozu ich Tausende Kilometer durch das Amazonasgebiet gereist und durch Regenwälder gewandert bin, Flüsse überquert und Gespräche mit den dort lebenden indigenen, afrobrasilianischen und kleinbäuerlichen Menschen geführt, Dokumente und historische Studien analysiert habe, um ein Puzzle zusammenzusetzen, das zwei grundlegende Wahrheiten über die Zerstörung des Amazonas und der anderen großen Ökosysteme (Biome) in Brasilien offenbart: Die erste ist, dass die Wurzel dieser Zerstörung in Europa liegt. Die zweite ist, dass die Menschen in Europa unerlässlich sind, um zu verhindern, dass dies weiter geschieht.

Die Geschichte der Zerstörung der Regenwälder und der anderen Ökosysteme in Brasilien begann im Jahr 1500, als Portugal das Land, das heute als Brasilien bekannt ist, eroberte und kolonisierte. Damals lebten hier mindestens zwei Millionen Indigene Hunderter verschiedener Völker mit sehr unterschiedlichen Sprachen, Kulturen, Glaubensvorstellungen und Bräuchen. Die Portugiesen waren die Vorreiter bei der Plünderung Brasiliens: Sie rodeten Wälder, stahlen Holz, Metallerze und und Mineralien, handelten mit den Lebensmitteln. Sie versklavten und töteten im Laufe der Jahrhunderte Millionen Indigene und später auch Menschen aus Afrika, die von dort gewaltsam entführt und nach Brasilien gebracht wurden, um ebenfalls als Sklaven auf Plantagen, in Bergwerken und auf Baustellen zu arbeiten. All dies, um den europäischen Konsum zu befriedigen und Einnahmen für die portugiesische Krone zu generieren.

Landeigentum ist ein europäisches Konzept

Nach den Portugiesen kamen die Spanier, Franzosen, Holländer, Engländer und andere Invasoren, die über Jahrhunderte hinweg die Plünderung fortsetzten, die auf Gewalt, Versklavung und Waffen beruhte. Ein zentrales Element dieser Geschichte ist die Durchsetzung der europäischen Logik des Privateigentums, das in sogenannten offiziellen Dokumenten als Nachweis für den rechtmäßigen Besitz von Land registriert wurde.

Privateigentum und Besitzdokumente waren und sind auch heute noch kein Bestandteil der Kultur der Indigenen, die bis heute gemeinschaftlich im Kollektiv das Land und seine Erzeugnisse nutzen. Ihre Dokumente sind die von Generation zu Generation mündlich weitergegebenen Überlieferungen der jahrtausendealten Beziehung zum Land und seinen Elementen. Das auf dem Papier eingetragene Privateigentum war die Strategie der Portugiesen, um die Gewalt des Raubes zu verschleiern und das Land, auf dem die Indigenen seit jeher gelebt hatten, in Privateigentum des portugiesischen Königshauses umzuwandeln, das große Teile dieser geraubten Ländereien an ihre Günstlinge verschenkte.

Dadurch wurden die indigenen Ureinwohner zu Eindringlingen gemacht – auf ihrem eigenen Land, als Diebe und mit anderen verleumderischen Namen bezeichnet, mit denen sie noch heute von den Nachkommen der europäischen Kolonialisten diskreditiert werden. Viele dieser Nachkommen, allesamt weiße Männer, sind heute Politiker, Richter und Großgrundbesitzer im exportorientierten Agrargeschäft Brasiliens.

Um sicherzustellen, dass die Indigenen das gestohlene Land nicht zurückerobern konnten, bauten die Kolonisatoren und ihre Nachfolger im Laufe der Jahrhunderte eine komplexe bürokratische Struktur auf. Die wichtigste davon war das sogenannte Landgesetz, das 1850 eingeführt wurde. Es garantierte den von Portugal geschützten Großgrundbesitzern Landtitel und legte fest, dass alle Landflächen, die nicht von einem privaten Eigentümer besetzt waren, weiterhin dem Staat gehörten und nur gegen Bezahlung von Dritten erworben werden konnten. Dies bedeutete zweierlei: Zum einen wurden damit die großen Landbesetzungen und -aneignungen von 1500 bis 1850 auf dem Papier nach der Logik der Kolonialisten „legalisiert”; zum anderen hatten die indigenen Völker und versklavten Afrikaner kein Geld und konnten daher kein Land kaufen und Eigentümer werden.

Die Jahrhunderte vergingen, und die Plünderung der indigenen Gebiete ging weiter. Auch heute noch wird der europäische Verbrauch an Eisenerz, Aluminium, Soja, Holz und anderen Rohstoffen zu einem erheblichen Teil durch die gewaltsame Ausbeutung dieser Rohstoffe hier in Brasilien gedeckt. Die koloniale Struktur der sozial-ökologischen Verbrechen wurde erneuert und verfeinert, aber im Wesentlichen bleibt sie dieselbe: Jemand grenzt willkürlich ein Stück Land ab und registriert es auf einem Stück Papier als sein „Eigentum“ – so wie es die portugiesische Krone im Jahr 1500 tat und später im Jahr 1850 perfektionierte. Anschließend wird das Gebiet umzäunt und abgeholzt, und private Sicherheitskräfte werden angeheuert, um jeden, der versucht, die Grenzen des erfundenen Grundstücks zu überschreiten, gewaltsam zu vertreiben.

Heutzutage kann diese Landabgrenzung dank Technologien wie der Satelliten-Georeferenzierung sogar per Internet von zu Hause aus vorgenommen werden, weshalb es dort Anzeigen für den illegalen Verkauf von Land im Regenwald gibt. Kriminelle grenzen große Waldflächen ab und verkaufen sie an brasilianische und ausländische Käufer. Das Dokument, das als Eigentumsnachweis dient, ist in den meisten Fällen ein einfacher, notariell beglaubigter Kaufvertrag, der jedoch nicht als Eigentumsurkunde für das Land gilt. Der „echte” Eigentumsnachweis – nach der Logik der portugiesischen Kolonisatoren – muss belegen, dass der erste Besitzer das Grundstücks vom Staat gekauft oder geschenkt bekommen hat (gemäß dem Gesetz von 1850). Bei den im Internet und auf anderen Wegen verkauften Grundstücken ist das nicht möglich, weshalb die „neuen Eigentümer” der Grundstücke die Wälder roden, das Holz verkaufen und dort Weideland für Rinderherden oder Monokulturen mit Soja und Mais anlegen, um damit ihren Landanspruch zu untermauern.

Für die so geschaffenen landwirtschaftlichen Flächen legen sie den Behörden gefälschte Dokumente vor oder beschaffen sich Dokumente durch Bestechung von Beamten und Korruption. Und dafür gibt es in Brasilien sogar einen Begriff: "Grilagem" steht für Landraub oder die widerrechtliche Aneignung von öffentlichem oder indigenem Land. Ziel ist es, letztendlich offizielle Grundbuch- und Eigentumstitel für das Land zu erhalten und es dann gewinnbringend weiterzuverkaufen. Im brasilianischen Amazonasgebiet sind fast alle Eigentumstitel für ländliche Grundstücke durch organisierte Kriminalität nicht rechtmäßig erworben oder gefälscht.

Die Aufsichtsbehörden in Brasilien sind oft langsam und angesichts der immensen Zahl der begangenen Straftaten fast handlungsunfähig. Wenn es zu einer Verurteilung wegen eines Verstoßes kommt, sind die Geldstrafen lächerlich gering oder werden sogar aufgehoben, weil die gesetzliche Verjährungsfrist überschritten ist. Den falschen Eigentümern wird das Land fast nie entzogen. Die Langsamkeit der Justiz sorgt dafür, dass sie und ihre Nachkommen jahrelang, sogar jahrzehntelang ungestört auf dem Land bleiben können.

Und das ist kein Zufall. Der von den europäischen Kolonisatoren geschaffene und von ihren Nachkommen perfektionierte bürokratische Apparat funktioniert so, dass sie immer im Besitz des Landes und dessen Ressourcen bleiben. So gehören beispielsweise die Notariate, die die gestohlenen Grundstücke registrieren und „legalisieren”, in der Regel mächtigen Familien einflussreicher Politiker. Diese Politiker wiederum sind Freunde oder Verwandte von Richtern, Staatsanwälten, Polizisten und anderen Strafverfolgungsbeamten, die alles tun, um soziale und ökologische Verbrechen nicht zu untersuchen, zu verurteilen oder zu bestrafen. Jedes Glied dieser Kette von Unrechtmäßigkeiten erhält einen Teil des schmutzigen Geldes aus den Verbrechen oder eine andere Entschädigung – wie Ämter und öffentliche Aufträge oder sogar weiteres Land.

Davon profitieren auch Firmen in Europa, China und den Vereinigten Staaten, die günstig und ohne Schuldgefühle die Rohstoffe kaufen, um die daraus erzeugten Produkte an ihre Kunden und Verbrauchermärkte zu verkaufen, die mit Gewalt und Blut aus dem Land der indigenen und traditionellen Völker Brasiliens gewonnen wurden.

Ein fundamentaler Schritt ist es daher, dass der brasilianische Staat die Demarkierung und Titulierung aller Länder der indigenen Völker und traditionellen Gemeinschaften durchführt, so wie es die Verfassung des Landes vorschreibt. Das hilft nicht nur, diese koloniale Struktur sozialer und ökologischer Verbrechen aufzuheben, sondern auch die Abholzung der Wälder zu verhindern. Denn die indigenen und traditionellen Völker sind die mit Abstand besten Hüter und Schützer der Natur.

Mit Ihren Spenden ist es Rettet den Regenwald gelungen, den von uns unterstützten Gruppen in dieser Hinsicht zu helfen. Das konnten wir bei unseren aktuellen Besuchen der Partnerorganisationen in drei brasilianischen Bundesstaaten feststellen. Dazu gehören die indigenen Ka'apor in Maranhão, die wir seit fünf Jahren über deren Rat Tuxa Ta Pame unterstützen. Mit rechtlicher Beratung und internationaler Lobbyarbeit zeigen sie die Verstöße an, vermessen, kartieren und schützen sie ihr 5.320 Quadratkilometer großes Regenwald-Territorium Alto Turiaçu.

Oder die Kleinbauern des Território Campestre, ebenfalls in Maranhão, die wir mit Schulungen in strategischer Kommunikation unterstützen, um die Invasion von Großgrundbesitzern auf ihrem angestammten Land nach außen hin anzuzeigen und innerhalb der Gemeinden Strategien zur Verteidigung des Territoriums zu kommunizieren.

In Pará unterstützen wir in diesem Jahr indigene Gemeinschaften der Timbira, Tembé, Kumarauara und Munduruku, um Brandstiftung und Feuer in ihren Wäldern zu verhindern oder zu bekämpfen. Insgesamt unterstützen wir derzeit 16 Partnerorganisationen und indigene Gruppen im Amazonasgebiet und im brasilianischen Cerrado in den Bundesstaaten Bahia, Maranhão, Mato Grosso do Sul, Pará und Tocantins.

Sie alle kämpfen gegen die Gewalt sozialer und ökologischer Verbrechen und für den Verbleib in ihren Gebieten – autonom und vernetzt zusammen mit den anderen Gruppen. Dabei ist die Unterstützung von Ihnen von entscheidender Bedeutung. Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern, aber die Gegenwart und die Zukunft können gerechter gestaltet und die Regenwälder besser geschützt werden.

Felipe Sabrina aus Belém

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