Schuldig! „Volksgericht" verhängt symbolisches Urteil gegen Bergbaufirmen
Auf dem „Gipfel der Völker“, der parallel zur Weltklimakonferenz COP30 in Belém stattgefunden hat, haben Organisationen und indigene Völker ein symbolisches Gerichtsverfahren durchgeführt. In diesem wurden Menschenrechts- und Umweltverbrechen der Bergbauindustrie in Brasilien angezeigt und öffentlich verhandelt. Rettet den Regenwald war mit dabei.
„Dies ist ein historischer Tag, denn auch wenn unser Tribunal keine rechtliche Wirkung auf die Bergbauunternehmen und den Staat hat, sind deren Verbrechen real und finden aktuell statt“, fasste João Gomes, Mitglied der Organisation FASE Amazônia, am Ende einer dreistündigen Sitzung zusammen.
Mit einem „Volksgericht“ in einem Hörsaal der Bundesuniversität von Pará (UFPA) haben Umwelt- und Menschenrechtsgruppen am 13. November ein öffentliches und symbolisches Verfahren durchgeführt, um den Amazonas-Regenwald und die Rechte der dort lebenden Menschen zu verteidigen. Den Rahmen dafür bildete der „Gipfel der Völker“, der Mitte November parallel zur internationalen UN-Klimakonferenz COP30 in Belém an der Amazonasmündung stattgefunden hat.
Das Ziel: Über die von indigenen Völkern und traditionellen Gemeinschaften angezeigten Verstöße und Verbrechen gegen die Menschen, das Land, das Wasser und das Klima symbolisch zu urteilen.
Die „Täter“: Die vier Bergbaukonzerne Vale, Belo Sun, Hydro und Imerys-Artemyn und die Institutionen des brasilianischen Bundesstaates Pará, die ihrer Verantwortung, die Rechte der Menschen und der Natur zu schützen, nicht nachkommen.
Mitglieder der Zivilgesellschaft nahmen dabei die Rollen einer Richterin, eines Gerichtsschreibers, von Zeugen, Verteidigern der Opfer, der Unternehmen und des Staates ein, stellten internationale Beobachter und eine fünfköpfige Geschworenen-Jury.
Rettet den Regenwald hat aktiv an dem Verfahren teilgenommen: Die Vereinsmitarbeiterin Guadalupe Rodríguez war eine der internationalen Beobachterinnen und Felipe Duran, unser Mitarbeiter in Brasilien, war Mitglied der Geschworenen-Jury. Zu letzterer gehörte auch Ediene Kirixi Munduruku vom indigenen Volk der Munduruku, die Partnerin unseres Vereins ist. Insgesamt waren mehr als Hundert Menschen, darunter Dutzende indigene Munduruku, bei der Sitzung dabei.
Das „Volkstribunal“ konnte nur eine Meinung abgeben, weil es nicht Teil des offiziellen brasilianischen Justizsystems ist. Sein Urteil hat daher keine rechtliche Wirkung auf die Verurteilten, sie könnten weder zu Haftstrafen noch zur Zahlung von Geldstrafen oder Entschädigungen verurteilt werden.
„Das symbolische Gerichtsverfahren ist ein wichtiges Instrument für die indigenen Völker und Gemeinschaften, um ihr Land, ihre Lebensgrundlagen und ihre Rechte zu schützen“, erklärt Guadalupe Rodríguez. „Das Volksgericht verschafft den betroffenen Einwohnern und Gemeinschaften Gehör und Aufmerksamkeit, um die negativen Auswirkungen der Bergbauunternehmen auf Mensch und Umwelt öffentlich zu machen.“
Das Verfahren ermöglicht den betroffenen Menschen die freie Meinungsäußerung, informiert über die von ihnen angezeigten Verstöße und Verbrechen, stärkt die Rechte der betroffenen Menschen und bekräftig deren Würde. Auch die Mitwirkung und Untätigkeit der Regierung und staatlichen Institutionen wurden bei dem Verfahren aufgedeckt.
„Wir zeigen mit dem Verfahren unsere Solidarität mit den Menschen, wir lassen sie nicht allein und beziehen eine klare Stellung“, sagt Felipe Duran.
Eindringliche Anklagen
Fast drei Stunden lang gaben zehn Zeuginnen und Zeugen, darunter Indigene, afrobrasilianische Menschen (Quilombolas) und Kleinbäuerinnen und Bauern aus den von Bergbauunternehmen betroffenen Gebieten eindringliche Aussagen über die erlittenen Gewalttaten ab. Einige davon begannen bereits in den 1970er Jahren und dauern seit über 40 Jahren an.
Sie berichteten, wie Regenwälder, Bäche und Flüsse zerstört, Gewässer verschmutzt und die Menschen durch toxische Abfälle der Bergbauunternehmen - darunter Quecksilber und Schwermetalle, vergiftet werden. Sie gelangen direkt in die Quellen und Wasserläufe, die die Gemeinden zum Trinken, Kochen und Baden nutzen.
Immer wieder erklärten die Betroffenen in ihren Aussagen, dass es keine vorherige, freie und informierte Konsultation und Zustimmung der Gemeinden gegeben hat, bevor die Unternehmen und die Regierung die Bergbauprojekte in den von den Völkern bewohnten Gebieten begonnen haben. Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen (UN), die Brasilien unterzeichnet hat, schreibt diese für indigene Völker und traditionelle Gemeinschaften vor.
Von der Gewalt, die von Bergbauaktivitäten ausgeht, seien afrobrasilianische und indigene Frauen besonders hart betroffen. Sie würden nicht nur selbst unter de vom Bergbau verursachten Kontamination und Krankheiten leiden, sondern versorgen auch andere betroffene Personen wie Kinder und ältere Menschen. Sie sind es auch, die sich mit ihrer Stimme und ihrem Körper am stärksten gegen die Ungerechtigkeiten einsetzen.
„Es ist immer das Gesicht einer schwarzen Frau, das an der Spitze der Kämpfe steht, und dabei müssen die Männer anerkennen, dass wir die größere Kraft haben, dass wir nicht aufgeben, dass wir uns immer kümmern“, sagte Antônia Flávia, Bewohnerin von Piquiá da Conquista in Açailândia, Maranhão.
Aufgrund der Umweltverschmutzung und Krankheiten, die der Vale-Konzern in ihrem traditionellen Gebiet ab den 1980er Jahren und die später dort errichteten Stahlwerke verursacht haben, wurden die junge Frau, ihre Familie und Hunderte andere Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Gewalt und Kriminalisierung
Die Bergbauunternehmen wurden während der Anhörung schwerer Vergehen beschuldigt. Dazu gehörten Zwangsräumungen, Zerstörung von Häusern, Brandstiftung, Morddrohungen, moralische, sexuelle und rechtliche Belästigungen und Verstöße gegen die Gemeinden und Personen wie lokale Führerinnen und Führer.
Lange und kostspielige Klage- und Gerichtsprozesse seien ebenfalls eine Methode, mit der Unternehmen die Menschen der Gebiete kriminalisieren und zum Schweigen bringen. Unter den im Auditorium anwesenden indigenen Munduruku gab es mehr als zehn Personen, die mit Mord bedroht wurden. Ebenso viele Personen wurden mit Gerichtsverfahren und verleumderischen Polizeiberichten verfolgt, die nicht nur darauf abzielen würden, ihre Würde zu verletzen und sie einzuschüchtern, sondern sie auch zu Opfern für neue Angriffe und sogar physischen Gewaltattacken zu machen, die deren Leben bedrohen.
Welche Vorwürfe gegen die Bergbauunternehmen wurden vorgebracht
Der brasilianische Bergbaukonzern Vale baut in Brasilien vor allem Eisenerz ab. Seine Bergbau- und Industrieanlagen, Eisenbahnstrecken und Häfen haben gravierende Katastrophen verursacht, wie die Dammbrüche der Rückhaltebecken von toxischen Bergbauschlämmen nahe Mariana im Jahr 2015 und Brumadinho im Jahr 2019. Die Tragödien forderten Hunderte von Todesopfern und verwüsteten Wälder und Flüsse über Hunderte von Kilometern. Neben den großen Katastrophen gibt es nach Aussagen der Zeugen auch die täglichen Gewalttaten und Verbrechen, die Vale in den Bundesstaaten Maranhão, Pará und Minas Gerais begehen würde.
Das kanadische Unternehmen Belo Sun beabsichtigt, am Xingu-Fluss die größte Tagebau-Goldmine Brasiliens zu errichten. Luiz Teixeira, Mitglied der Bewegung Xingu Vivo para Sempre und langjähriger Partner von Rettet den Regenwald, war einer der Zeugen der Anklage gegen Belo Sun. In seiner Aussage zeigte er Reste von verbranntem Holz, das aus der Unterkunft eines Kleinbauern stammte, die kürzlich in Brand gesteckt worden war. Der Landwirt lebt laut Luiz in einer Siedlung, auf deren Land im Bundesstaat Pará Belo Sun Gold abbauen will. Dieser und viele weitere Gewalteakte stünden mit dem Bergbauunternehmen in Verbindung, so die Aussage.
Der halbstaatliche norwegische Bergbaukonzern Hydro rodet nicht nur den Amazonasregenwald für den Abbau von Bauxit, sondern verseucht auch die Natur und dort lebenden Menschen mit seinen Industrieanlagen und toxischen Abfällen. Aus dem Bauxit stellt Hydro in der nach eigenen Angaben weltweit größten Aluminiumraffinerie Alunorte nahe Belém an der Amazonasmündung Aluminiumoxid her, aus dem in der angrenzenden Fabrik Albras Rohaluminium für den Export produziert wird. Im Jahr 2018 verursachte ein großes Leck giftiger Abfälle aus seinem Damm die Verschmutzung von Gewässern in der Gemeinde Barcarena. Im selben Jahr fanden Forscher eine Leitung, über die Hydro unbehandelte Abwässer in die Quellen eines Flusses in derselben Gemeinde leitete, so einige der Aussagen.
Das französische Unternehmen Artemyn-Imerys, das heute zur englischen Flacks Group gehört, verursacht den Aussagen der Betroffenen nach ebenfalls Zerstörung und Gewalt im Amazonasgebiet. Das Unternehmen baut dort Kaolin ab, das in der Industrie zur Herstellung von Zement, Papier, Keramik und anderen Produkten verwendet wird. Artemyn-Imerys habe über Hunderte von Kilometern Bergbaupipelines im Boden des Regenwaldes und auf indigenem Land vergraben, die Waldgebiete zerstören und Flüsse und Bäche verschmutzten. Die Firma lasse ihre Anlagen von privaten Sicherheitskräften bewachen, die die dort lebenden Menschen angreifen würden.
Dem Bundesstaat Pará und seinen Umweltbehörden, wie dem Staatssekretariat für Umwelt, wurden Unterlassung, illegale Erteilung von Umweltgenehmigungen und Duldung der von den Unternehmen begangenen Gewalttaten und Verbrechen vorgeworfen.
„Es gibt keinen Verkäufer ohne Käufer. Deshalb bin ich der Meinung, dass dieses symbolische Gericht auf das Völkerrecht ausgeweitet werden kann, um europäische und andere Länder wie Kanada und China zur Verantwortung zu ziehen, die diese Rohstoffe beziehen, die mit Umweltzerstörung und Gewalt produziert werden”, erklärte Guadalupe Rodríguez von Rettet den Regenwald während ihrer Aussage als internationale Beobachterin.
Einstimmige „Verurteilung“
Einstimmig wurden alle Unternehmen und der Bundesstaat Pará für die von den Zeugen angezeigten Verbrechen und Verstöße für schuldig befunden:
„Was den Bundesstaat Pará betrifft, so kommt erschwerend hinzu, dass er verpflichtet ist, die Einhaltung der Gesetze und das allgemeine Wohlergehen der Bevölkerung zu gewährleisten. Durch sein Handeln oder Unterlassen hat der Staat es vorgezogen, die Projekte und damit die vorgebrachten Verbrechen und Verstöße zu ermöglichen”, erklärte unser Mitarbeiter in Brasilien, Felipe Duran, während der Verlesung der Urteilsbegründung.
Bei der symbolischen Urteilsbegründung „verurteilte“ die „Richterin“ Jéssica da Silva Santos das Land Brasilien, den Bundesstaat Pará und die angeklagten Unternehmen dazu, den Opfern der Umweltverbrechen und der Klimakrise Wiedergutmachung zu leisten und Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und zur Klimagerechtigkeit zu ergreifen. Sie ordnete außerdem an, dass der Bundesstaat Pará die Unternehmen überwacht und Bußgelder auf transparente Weise verhängt und dass Brasilien und der Bundesstaat Pará alle Arbeiten einstellen, die ohne die in der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation festgelegte vorherige Konsultation und Zustimmung durchgeführt wurden. Unter anderem ordnete die „Richterin“ an, dass die Gebiete der indigenen Völker und afrobrasiliansichen Gemeinschaften unverzüglich demarkiert und anerkannt werden müssen.
Das Urteil wurde an den Vorsitz der COP30, die brasilianische Regierung, die Bundes- und Landesstaatsanwaltschaften, die öffentlichen Verteidiger, die UNO, die OAS, alle Botschaften und Länder, die an der COP teilnehmen, sowie an zivilgesellschaftliche Organisationen, die Presse, Völker und Gemeinschaften weitergeleitet.
An der Veranstaltung beteiligten sich neben der Organisation FASE und Rettet den Regenwald auch die Studien- und Forschungsgruppe „Gesellschaft, Territorium und Widerstand im Amazonasgebiet“ (GESTERRA) der Bundesuniversität von Pará, die Volksbewegung für Souveränität im Bergbau (MAM), das indigene Volk der Munduruku sowie afrobrasilianische Quilombola- und traditionelle Gemeinschaften aus Pará und Maranhão.
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