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RegenwaldReport 01/1999

Hoffnungsträger der Menschheit?

Schuld an der Ausbreitung des Aids-Virus zur weltweiten Epidemie ist die Erschließung der afrikanischen Regenwälder durch europäische Holzkonzerne.

Mir reicht's jetzt, ich brauche keine Bilder mehr, ich will es nicht mehr sehen", sagt der Fotograf und Tierschützer Karl Ammann . im Regenwald von Kamerun. Zusammen mit seinem einheimischen Begleiter Joseph ist er für die Geo-TV Reportage „Auf dem Holzweg" (gesendet am 2. März auf Arte) im Südosten Kameruns unterwegs. Gerade mussten die beiden mit ansehen, wie der Wilderer Desiree seinen Speer in die Brust eines um sein Leben bettelnden Gorillas rammte, der sich in einer Metallschlinge des Wilderers gefangen hatte. „Er ist ein Tier wie jedes andere und die vielleicht letzte Chance, in dieser Woche noch ein wenig Geld zu verdienen", erklärte der Wilderer sein Handeln. Am Nachmittag treffen Karl Ammann und Joseph an einer Funkstation der französischen Holzfirma Palisco im Regenwald auf einen Jäger mit einem Schimpansenbaby auf dem Arm. Neben dem Jäger auf dem Boden liegen - frisch geschlachtet und als Pakete für den Abtransport auf einem Holzlaster verschnürt - die Mutter und drei weitere Schimpansen. Der zur Rede gestellte französische Vorarbeiter weist jede Verantwortung zurück. „Wir können doch nichts machen, die mögen einfach das Fleisch", erklärt er ungerührt. Schon im letzten Regenwald Report hatte Karl Ammann ganz in der Nähe ähnliche Jagdszenen für Rettet den Regenwald dokumentiert. Mitten im Regenwald auf der Konzession der französischen Holzfirma SEBC führte ihn der Wilderer Desiree an die Stelle, an der er kurz zuvor drei ausgewachsene Gorillaweibchen und zwei ihrer Babys geschossen hatte. Noch an Ort und Stelle schnitten der Wilderer und seine Helfer die Tiere auf. Mit dem Buschmesser und den blossen Händen trennten sie die Eingeweide aus den Affen heraus. Karl Ammann hatte noch gewarnt, dass bei dem engen Kontakt der Wilderer mit dem frischen Blut der Affen leicht ein Virus über Hautverletzungen in die Blutbahn des Menschen gelangen und eine tödliche Vireninfektion auslösen könnte. Diese Warnungen sind nun mit der Veröffentlichung des Forschungsberichts eines internationalen Wissenschaftlerteams als Realität bestätigt worden. Die Forscher unter der Leitung der deutschen Molekularbiologin Prof. Beatrice Hahn haben den Ursprung des Aids-Virus Typ HIV-1 entdeckt, mit dem weltweit 35 Millionen Menschen infiziert sind. Der natürliche Wirt und Überträger des Virus ist demnach eine in Zentralafrika beheimatete Unterart des Schimpansen mit dem wissenschaftlichen Namen Pan troglodytes troglodytes. Der Virus, der sowohl Affen als auch Menschen befällt, löst allerdings nur beim Menschen die tödliche AidsErkrankung aus, die Affen erkranken daran nicht.

Vielfältige AIDS-Viren

Mit der Entdeckung wurde das jahrelange Rätsel des Ursprungs der Aids-Epidemie gelöst. Bereits vor einiger Zeit haben Wissenschaftler im Blut zahlreicher afrikanischer Affenarten verschiedene mit dem Aids-Virus verwandte Viren gefunden. Seit längerem wurde daher in Fachkreisen vermutet, dass die Aids auslösenden Viren ursprünglich von Affen stammen. Für den beim Menschen selteneren und in Westafrika und Indien verbreiteten Aids-Virus Typ HIV-2 konnte schliesslich eine in Zentralafrika heimische Affenart, die Rauchgrau-Mangabe, als Überträger identifiziert werden. Der Ursprung des Aids-Virus HIV-1 blieb aber bis zur Entdeckung des Forscherteams ungelöst. Daran, dass der Aids-Virus den Regenwald verlassen und sich zu einer weltweiten Epidemie entwickeln konnte, sind vor allem der Raubbau an den afrikanischen Regenwäldern durch europäische Holzkonzerne und die Erschliessung vorher unzugänglicher Regenwaldgebiete durch die Holzwirtschaft Schuld. Zum Abtransport der Tropenhölzer bauen die Holzfirmen Strassen in den vorher wegelosen Regenwäldern. Auf den Strassen dringen einheimische Siedler, Jäger und Wilderer tief in die Regenwälder ein. Mitten in den Regenwäldern werden Siedlungen für Holzfäller und ihre Familien errichtet, am Rande der Regenwälder entstehen Städte mit Prostitution und westlichem Lebenswandel. Zur Versorgung der Holzfällercamps und der Städte mit Frischfleisch schiessen Holzfäller und Wilderer auf alles, was ihnen vor die Flinte kommt. Was nicht in den Kochtöpfen der Holzfäller landet, wird abtransportiert und in den Städten verkauft. Affenfleisch gilt als Delikatesse und erzielt auf Märkten in den Städten hohe Preise. „Der Bushmeat-Handel - das Jagen und Töten von Schimpansen und anderen gefährdeten Tieren für den menschlichen Verbrauch - ist eine übliche Praktik im westlichen Teil Zentralafrikas und repräsentiert ein fortlaufendes Risiko für den Menschen", so die Wissenschaftlerin Prof. Hahn. „Jagd zur Eigenversorgung ist immer ein Teil der Kultur im westlichen Zentralafrika gewesen, aber zunehmender Holzeinschlag im letzten Jahrzehnt hat beispiellosen Zugang zu abgelegenen Waldregionen geschaffen und führte zum kommerziellen Töten von tausenden Schimpansen, Gorillas und anderen Affen", fährt sie fort. Dabei verschafft die Holzindustrie den Wilderern nicht nur den Zugang zu vorher unerreichbaren Waldgebieten, sondern ermöglicht auch den Abtransport der gewilderten Tiere auf den Holzlastern. Für die Fahrer der Laster ist die Mitnahme von kommerziellen Jägern und ihrer Jagdbeute ein einträgliches Geschäft. Doch damit nicht genug.

Lieferanten für die Jäger

Die Holzfirmen liefern den Jägern vielfach auch die zur Wilderei nötigen Gewehre, Munition, Drahtschlingen zur Herstellung von Tierfallen, Lampen für die nächtliche Jagd usw. Der Raubbau an den Regenwäldern und die unkontrollierte Jagd und Wilderei sind dabei kein lokales Problem. Wo immer in Kamerun, Gabun, Kongo oder der Zentralafrikanischen Republik europäische Holzfirmen Tropenhölzer einschlagen, hat Rettet den Regenwald vor Ort dokumentiert, wie Affen und andere Wildtiere geschossen werden und der natürliche Reichtum der Regenwälder für kurzfristige Gewinne geplündert und unwiederbringlich zerstört wird. Im natürlichen Verbreitungsgebiet der Schimpansen sind die Jagd und der Verzehr von Affenfleisch keine Einzelfälle, sondern alltägliche Realität. Das die Schimpansen dabei mittlerweile kurz vor der Ausrottung stehen, scheint allerdings kaum jemanden zu interessieren. Traditionelle Waldvölker Zentralafrikas wie die Pygmäen haben im Einklang mit der Natur gelebt. Mit einfachen Mitteln haben sie die Waldtiere zur Ernährung gejagt, ohne dabei den Wald und den Wildbestand zu gefährden. Schimpansen hielten sie für ein über den Tieren stehendes Wesen. Schimpansenfleisch wurde nicht wie dasjenige aller anderen Affenarten gegessen, weil der Schimpanse zu sehr dem Menschen gleich ist. Bei vielen Waldvölkern Afrikas gelten daher auch heute noch Jagdtabus für Schimpansen. Doch auch wenn Übertragungen von Aids zu früheren Zeitpunkten nicht ausgeschlossen werden können, hatte der Virus bei den traditionellen Waldvölkern Afrikas wahrscheinlich keine Chance, eine weltumspannende Epidemie auszulösen. In den schwer passierbaren und sehr dünn besiedelten Waldgebieten suchten die Menschen ihre Sexualpartner in ihrer unmittelbaren Umgebung. So kam es allenfalls nur zu kleineren lokalen Ausbrüchen von Aids, die wenig später wieder verlöschten. Die Entdeckung der Wissenschaftler könnte für die Suche und Entwicklung eines Impfstoffs gegen den Aids auslösenden Virus und für die erfolgreiche Behandlung von mit dem Virus bereits infizierten Menschen von grösster Bedeutung sein. Die untersuchten Schimpansen sind vermutlich schon seit einigen hunderttausend Jahren Träger der Viren, ohne an dem Virus zu erkranken, und damit immun gegen die Krankheit.

Ansatzpunkt für die Forschung

Von der Untersuchung der freilebenden Schimpansen erhoffen sich die Forscher Aufschluss über die Immunität der Tiere gegenüber den Viren. Mit dem drohenden Aussterben der Schimpansenart ginge auch die Chance verloren, auf diesem Wege endlich einen Impfstoff gegen die Vireninfektion zu entwickeln. „Wir können es uns nicht leisten, diese Tiere zu verlieren, weder vom Standpunkt des Tierschutzes noch vom Standpunkt der medizinischen Forschung. Es ist durchaus möglich, dass die Schimpansen, welche sich als Quelle von HIV l herausgestellt haben, ebenfalls die Rätsel der erfolgreichen Kontrolle des HIV- 1 beinhalten", sagt Prof. Hahn. Hahn und ihre Kollegen hoffen, dass als eine Konsequenz ihrer Forschungsergebnisse endlich Massnahmen ergriffen werden, um vor dem Wildern der Schimpansen abzuschrecken und diese und andere gefährdete Primatenarten zu erhalten. K. Schenck

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