zurück zur Übersicht
RegenwaldReport 02+03/2004

Essen wir Amazonien?

Die Sojafront rückt in den brasilianischen Regenwald vor – mit deutscher Hilfe

1976: Gut zehn Kilometer von Manaus entfernt stürzt ein Flugzeug in den Amazonas-Dschungel. Obwohl ein paar Augenzeugen die Absturzstelle ungefähr lokalisieren können, brauchen Rettungskräfte zehn Tage, um das Wrack aufzuspüren. Heute kann man den Unglücksort mit dem Auto über eine asphaltierte Straße in weniger als 30 Minuten bequem erreichen. Wo einst dichter Regenwald stand, leben jetzt 50.000 Menschen in einem Vorort der zur Millionenmetropole aufgestiegenen Amazonas-Stadt Manaus. Die Flugzeug-Anekdote stammt von Dr. William Laurance, der am „Nationalen Institut für Amazonas-Forschung“ in Manaus arbeitet. Laurance wollte veranschaulichen, wie rasant der weltweit größte Regenwald verschwindet. Er und sein Team haben 2003 die Folgen eines 40 Milliarden Dollar schweren „Entwicklungs“programms der brasilianischen Regierung für den Amazonas erforscht. Dieses sieht für die nächsten Jahre den Bau von 10.000 Kilometern Straßen, Kanälen, Häfen, Staudämmen und Hochspannungsleitungen sowie die Ausbeutung von Öl-, Gas- und Kohlelagerstätten vor. Geplant ist auch die Asphaltierung der 1.765 Kilometer langen Nord-Süd-Verbindung BR- 163 von Santarem am Amazonas nach Cuiaba, Hauptstadt des Bundesstaates Mato Grosso. Dort sitzt mit der „Grupo Andre Maggi“ der weltgrößte Sojaproduzent. Der Ausbau der Urwaldpiste zu einem Highway würde für das Soja- Imperium von Maggi deutlich günstigere Transportkosten bedeuten. Der expandierende Konzern erzielte im vergangenen Jahr 550 Millionen Dollar Umsatz. Gestützt wurde das ständige Wachstum von zahlreichen Krediten meist ausländischer Banken, darunter auch deutsche. Brasiliens Sojaproduktion stieg von 15 Millionen Tonnen in 1980 auf über 50 Millionen Tonnen vergangenes Jahr. Die Branche rechnet damit, dass die Menge bis 2007 verdoppelt werden kann. Schon heute ist Brasilien zweitgrößter Sojaexporteur weltweit. Sojaschrot ist bei uns mittlerweile das wichtigste eiweißhaltige Futtermittel in der Massentierhaltung. Seit BSE und dem Verbot, Tiermehl zu verfüttern, steigt der Bedarf, und Brasilien besitzt noch riesige Flächen, auf denen die Produktion ausgeweitet werden kann – die liegen freilich vor allem im Amazonas. Längst haben Sojafarmer große Teile der Savanne und den Übergangswald im Bundesstaat Mato Grosso im südlichen Amazonas in ein grünes, monokulturelles Meer aus Sojapflanzen verwandelt und rücken nun Richtung Norden vor. Im größten Regenwaldgebiet der Erde beginnt das große Fressen. Soya-Monokulturen breiten sich inzwischen in die Bundesstaaten Amazonas, Rondônia, Acre, Roraima, Maranhão und Tocantins aus.

Der Herr der Soja-Felder

„Die Maggi Gruppe spielt eine Schlüsselrolle bei der Öffnung des Amazonas für die Soja- Expansion durch den Ausbau von Wasserstraßen“ schreiben Forscher von der University of Florida, die im Mai 2004 eine Studie zu den Auswirkungen von Maggis kontinuierlicher Ausdehnung vorgelegt haben. Die Expansionspläne hätten „ernsthafte und sogar irreparable negative Folgen für Umwelt und Gesellschaft.“ Von 1997 bis heute stieg die jährliche Produktion der Maggi-Gruppe von 400.000 auf fast 2,5 Millionen Tonnen, die überwiegend für den Export nach Europa und Asien bestimmt sind. Seit 2002 ist der Firmenchef Blairo Maggi auch Gouverneur des Bundesstaates Mato Grosso. Für ihn sei der Amazonas nicht unberührbar, ließ er in Interviews wissen. „Ich habe keine Probleme damit, dass die Entwaldungsrate um 40 Prozent zugenommen hat, und ich fühle mich kein bisschen schuldig”, sagte Blairo Maggi 2003 laut NEW YORK TIMES in Cuiaba. „Wir reden über ein Gebiet, dass größer ist als Europa und bisher kaum angetastet worden ist. Also braucht sich niemand Sorgen zu machen.” Nach Unternehmensangaben will Maggi seine Anbaufläche in den nächsten zehn Jahren in Mato Grosso nahezu verdreifachen – auf Kosten des dichten Urwalds. Tropenforscher teilen die Einschätzungen des Maggi-Chefs nicht unbedingt. „Der weitere Ausbau der Sojaproduktion in Mato Grosso erhöht den Druck auf das einzigartige und sensible Savannenwald-Ökosystem. Es droht ein Anstieg der ohnehin schon hohen Waldverluste“, so die Wissenschaftler aus Florida. Nach neuesten Angaben des Brazilian National Institute of Space Research weist Mato Grosso die landesweit höchste Entwaldungsrate auf, 2003 war eine Fläche von 10.500 Quadratkilometern betroffen, was einen Anstieg um 44 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. 46 Prozent von Mato Grosso gehören zum Amazonasbecken, in dem bisher 55.000 Pflanzen-, 428 Säugetier- und 1.600 Vogelarten nachgewiesen wurden. 49 Prozent des Bundesstaates waren ursprünglich von cerrado bedeckt, einer Savanne, die eine hohe Anzahl endemischer Arten beherbergt. „Einige von ihnen sind durch den Sojaanbau von Ausrottung bedroht. Gebiete von Mato Grosso, in denen der Sojaanbau expandiert, gehören zu den weltweiten Biodiversitäts-hotspots“, so Ulrike Bickel. Die Sozio-Ökonomin und Tropen- Landwirtin hat 2003 den Sojaboom in 14 brasilianischen Bundesstaaten untersucht.

Deutsche Kredite für den Sojaboom

Dass der Sojaboom Regenwälder zerstört, ist mittlerweile auch in Berlin bekannt. Die Bundesregierung weist darauf in ihren Waldberichten hin. Trotz solcher Einsichten hat ausgerechnet die bundeseigene Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) 2001 dem brasilianischen Agrarmulti „Maggi“ einen 12-Millionen-US-Dollar-Kredit gegeben. Mit den Mitteln wurden die Lagerkapazitäten des Unternehmens für Soja erweitert. Das Projekt sei an wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Kriterien gemessen unterstützungswürdig, behauptet die DEG. Der deutsche Regenwaldexperte Klemens Laschefski, der in Brasilien lebt, empört sich über den DEG-Kredit: „Gerade die Maggi-Gruppe bildet die Speerspitze beim Vordringen der größten Agrarfront aller Zeiten in den Amazonas.“ Rettet den Regenwald hat auf den DEG-Kredit mit einer Protestmail-Kampagne reagiert – mit Erfolg. Aus inoffizieller Quelle wurde bekannt, dass die DEG eine zweite Kreditanfrage von Maggi abgelehnt hat. Trotzdem flossen die Gelder für Maggi weiter. 2002 erhielt die Amaggi Exportação e Importação zwei Kredite über zusammen 150 Millionen Dollar von Bankenkonsortien, die WestLB war mit 20 Millionen beteiligt. Im selben Jahr gab die International Finance Cooperation, eine Weltbank-Tochter, 30 Millionen Dollar. Deutschland hat bei der Weltbank als drittgrößter Einzahler ein entsprechend hohes Mitspracherecht und kann Kredite, mit denen Regenwaldzerstörung gefördert wird, verhindern – den politischen Willen voraus gesetzt. Im Juni 2003 erhielt Amaggi Exportação e Importação einen weiteren Kredit über 80 Millionen Dollar, der von der WestLB arrangiert wurde. Praktisch zeitgleich verpflichtete sich das Düsseldorfer Geldinstitut auf die Einhaltung der so genannten Equator Principles – soziale und ökologische Mindeststandards bei Projektfinanzierungen. Auch wenn es sich bei der Geldspritze an die Maggi-Gruppe nicht um eine Projektfinanzierung handelt, widerspricht der Kredit Geist und Buchstaben der Equator Principles. Im Januar 2004 beteiligte sich die WestLB an einem weiteren Kredit für die Maggi- Gruppe in unbekannter Höhe. Obwohl die Ernteerträge dank internationaler Finanzhilfe steigen, profitiert die Masse der Bevölkerung nicht davon. Millionen kleiner Farmer und Landarbeiter wurden von ihren Feldern verdrängt, um Platz für die gigantischen, maschinell bearbeiteten Plantagen zu schaffen. Auf ihnen malochen im Schnitt 1,7 Arbeiter pro Hektar. 30 sind es im traditionellen Familienbetrieb. Während Brasilien zu den führenden Exporteuren von Agrargütern gehört, leiden schätzungsweise 60 Prozent der Bevölkerung an Mangelerscheinungen wegen schlechter Ernährung. Auch wenn Sojabohnen nicht die einzige Bedrohung für den Amazonas sind, sie sind neben der expandierenden Rinderzucht die vielleicht tödlichste. Die Monokulturen benötigen eine schwindelerregende Menge an Agrargiften. Zunächst wird der Wald gerodet und abgebrannt und der Boden mit reichlich Kunstdünger aufgepäppelt. Danach wird die Anbaufläche mit Insektiziden, Fungiziden und Herbiziden besprüht. Während die Pflanzen wachsen, werden sie noch zweimal mit Agrargiften eingedeckt.

Unsere Bauernhöfe am Amazonas wachsen

Waren Sojabohnen bis 1945 in Europa weitgehend unbekannt, sind sie heute das wichtigste landwirtschaftliche Produkt, das auf dem Weltmarkt gehandelt wird. In den 70er Jahren schnellte in den Industrieländern der Fleischkonsum nach oben, riesige Ställe zur Massentierzucht entstanden. Es gab nur ein Problem: ein Mangel an Futter. Die Tierzüchter suchten jenseits des Atlantiks, prompt kam es besonders in Südamerika zu einem Sojaboom. Nur so konnten die Europäer viel größere Anbauflächen in Beschlag nehmen als sie selbst zur Verfügung hatten. Weil unser Fleischhunger ungebremst ist und wir die in Massenställen eingesperrten Viecher mit Sojaschrot mästen, wachsen unsere Bauernhöfe am Amazonas jedes Jahr ein Stück. Anstatt Nahrungsmittel für die Eigenversorgung anzubauen, werden in Brasilien Exportkulturen wie Soja forciert. Oder anders ausgedrückt: die Kaufkraft eines deutschen Schweins ist größer als die einer armen brasilianischen Familie. Weltweit gehen 36 Prozent der Getreide- und 70 prozent der Sojaernte in die Mägen von Tieren. Aufgrund entwicklungspolitischer Bedenken dürfen Ökobauern in Deutschland wegen des die Natur schädigenden Anbaus und der Konkurrenz zu menschlichen Nahrungspflanzen kein Soja einsetzen, sie müssen Futtermittel aus regionalem Anbau nutzen. Tatsächlich kann Soja durch Ackerbohnen, Erbsen oder Lupinen ersetzt werden, die ebenfalls einen ausreichenden Eiweißanteil enthalten. Doch selbst der Sojaanbau in Brasilien ist weitaus Natur schonender als momentan möglich. Eine Anfang September veröffentlichte WWF-Studie zeigt Alternativen zur gängigen Praxis auf. „Der wachsende Soja-Hunger kann zu großen Teilen ohne Raubbau an natürlichen Lebensräumen gestillt werden. Statt Tropenwälder in Plantagen umzuwandeln, könnten die Farmer auf bestehenden Weiden im Wechsel Gras für das Vieh und Soja anbauen“, erläutert WWF-Waldexperte Michael Evers. Der Verlust von Wäldern und Savannen ließe sich so in den kommenden Jahren von den geschätzten 22 auf etwa 3,7 Millionen Hektar senken.

Letzte Meldung

Das brasilianische Forum für soziale Bewegungen, das über 1.200 Organisationen vertritt, hat Mitte Oktober Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abgebrochen. Damit protestiert das Forum dagegen, dass der IWF gerade einen Kredit zur Ausweitung des Sojaanbaus im Amazonas vergeben hat, ohne vorher mögliche Umweltschäden zu untersuchen. Welbank-Präsident Wolfensohn hatte zuvor ein Versprechen gegeben, die Umweltrisiken zu prüfen. „Für das Forum ist es ein klarer Vertrauensbruch. Der IWF hat damit einen weiteren Dialog unmöglich gemacht“, kommentierte Roberto Smeraldi von Friends of the Earth Brasilien. Der Kredit über 30 Millionen US-Dollar geht an die Maggi- Gruppe.

Bestellen Sie jetzt unseren Newsletter

Bleiben Sie mit unserem Newsletter am Ball – für den Schutz des Regenwaldes!