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RegenwaldReport 01/2008

Die Agrarsprit-Lüge

„Bioenergie“ sollte das Klima retten. Doch in Brasilien vertreiben Zuckerrohrplantagen die Kleinbauern und fressen sich bis in den Regenwald vor. Bericht von einer ökologischen und sozialen Katastrophe. Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Er hat mitunter etwas unheimlich Beruhigendes, dieser kleine, vollbärtige Mann mit dem Teddybärblick, der das größte Land Südamerikas regiert. Und die Botschaft, die Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva im Sommer 2007 für die versammelten EU-Minister in Brüssel bereithält, hat es nicht weniger: Nein, um Amazonien brauche man sich angesichts des erwarteten Biotreibstoffbooms keine Sorgen zu machen. Die unendlichen Wälder dort gäbe es nämlich längst nicht mehr, längst würde dort Zuckerrohr gedeihen. Portugiesische Kolonialherren hätten sie dem Erdboden gleichgemacht, als sie vor Jahrhunderten schon einmal ganze Landstriche für ihre Plantagen verwüsteten. „Wir wissen von keinem einzigen Projekt in der Region”, sekundierte auch Landwirtschaftsminister Reinhold Stephanes. Ein halbes Jahr später legt ein brasilianischer Regierungssprecher Zahlen vor, die mehr verraten: 7.000 Quadratkilometer Amazonas-Wald, gerodet, verbrannt, vernichtet zwischen August und Dezember 2007 – viermal so viel wie im Vergleichszeitraum 2004. Zu den Hauptverursachern gehören neben Holzfällern, Rinderbaronen und Sojafarmern riesige Zuckerrohrplantagen, die neuerdings mitten im Dschungel aus dem Boden schießen wie Pilze. „Es ist eine Lüge, dass sich diese Pflanze nicht an das amazonische Klima anpassen kann”, stellt denn auch Sérgio Nunomura klar, Forscher des Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia. Lula habe „in Brüssel Unsinn geredet, als er behauptete, die Böden in Amazonien seien ungeeignet“, zitieren Zeitungsberichte einen, der es wissen sollte: Ezequiel Alves da Silva, Produktionschef der Unternehmensgruppe Farias, die derzeit im abgelegenen Amazonasstaat Acre neue Anbauflächen von fast 40.000 Hektar betreibt. Der Präsident, so da Silva schlicht, verstehe nichts vom einschlägigen Anbau. „Unsere Erträge sind von bester Qualität.“ Kürzlich hat Farias eine weitere Ethanolfabrik in der Region angekündigt. Sogar das brasilianische Landwirtschaftsministerium muss inzwischen einen deutlichen Trend einräumen: Von 17 auf 19,3 Millionen Tonnen steigt die Produktion demnach allein während der laufenden Saison in den Amazonasstaaten Maranhão, Mato Grosso, Pará, Tocantins und Amazonas. Noch weit Schlimmeres sehen Experten kommen, die die Entwicklung auf Satellitenfotos direkt verfolgen können: „Wenn die Ölpreise weiter steigen, wird die Ethanolproduktion in Amazonien regelrecht explodieren“, warnt Carlos Nobre, Wissenschaftler am Nationalen Weltraum-Forschungsinstitut. Mit seinem Ziel, Brasilien zum weltgrößten Ethanol-Exporteur zu machen, legt Lula die Lunte an den Regenwald. Allerdings ist das Problem keineswegs bloß ein hausgemachtes: Richtig Zunder kriegt der neue Boom in den Tropen erst durch die globale Nachfrage nach vermeintlich klimafreundlichem Biosprit. Noch baut die USA dank großer Anbauflächen im eigenen Land an, allerdings mit gewaltigen Wachstumsraten. Europa aber schießt den brasilianischen Zuckerrohr-Baronen jetzt eine regelrechte Steilvorlage: Mindestens 10 Prozent Agrar-Sprit sollen Autos künftig schlucken, so Pläne der EU-Kommission. Auf hiesigen Äckern aber lässt sich die dafür benötigte Menge an Energiepflanzen nicht einmal annähernd produzieren. Der absehbare Importbedarf ruft derzeit finanzkräftige Investoren aus aller Welt auf den Plan. Erst deren spekulative Millionen heizen den Ethanolwahn in Brasilien richtig an. Billiges Land in Hülle und Fülle, das war schon immer der fatale Trumpf des südamerikanischen Flächenstaates. Zehn große Fabriken will alleine die Brazilian Renewable Energy Company bis 2009 errichten. Die benötigten 2,2 Milliarden US-Dollar aufzubringen, fällt dank bester Renditeaussichten offenbar leicht. Unter den Geldgebern finden sich einschlägig bekannte Namen: Ex- Weltbank-Präsident James Wolfensohn, Steve Case, Mitbegründer von AOL, sowie Filmproduzent und Millionenerbe Steven Bing. Im Land, dessen Unterschiede zwischen Arm und Reich zu den weltweit größten gehören, bleibt einheimisches Kapital freilich nicht abseits stehen: Der brasilianische Millionär Daniel Dantas etwa plant im Amazonasstaat Para eine der größten Zuckerrohrplantagen Brasiliens. Die Regierung Lula übt derweilen Steigbügelhalter: Das Unternehmen Biocapital Ethanol aus dem nordamazonischen Bundesland Roraima über das Nachbarland Guyana verschiffen. Die notwendigen Verkehrswege werden bereits ausgebaut. Auf Staatskosten. Südamerikas Serengeti stirbt für Biosprit Zu den Opfern gehört indes nicht allein der Regenwald. Auch die beiden gewaltigen brasilianischen Ökosysteme, die Trockensavanne Cerrado und das Feuchtgebiet Pantanal, sind ins Fadenkreuz der Biospritprofiteure geraten. Über 10.000 Pflanzenarten, von denen 4.400 nur hier vorkommen, große Tierarten wie Jaguar, Mähnenwolf oder Ameisenbär beherbergen die bisher kaum erforschten zwei Millionen Quadratkilometer des Cerrado. Lateinamerikas Serengeti ist zudem die Heimat Dutzender Indianervölker und zugewanderter Kleinbauern. Doch die Politik achtet all das wenig. „Die Menschen hier tragen nicht zur Wirtschaftskraft bei, ihr trockenes Land gilt als ebenso sozial unternutzt wie ökologisch wertlos“, erklärt Klemens Laschefski von der Bundesuniversität in Minas Gerais eine Ideologie, die schon die Vernichtung riesiger Regenwälder rechtfertigte. Dabei ist nach heutigen Schätzungen in den vergangenen drei Jahrzehnten bereits die Hälfte des Cerrado riesigen Sojaplantagen und Rinderweiden zum Opfer gefallen, wurde abgeholzt, danach als Holzkohle in Stahlwerken verfeuert. Jetzt soll der Rest für den Biosprit verheizt werden. So spricht etwa der Präsident von São Paulos Union der Zuckerrohrindustrie, Eduardo Pereira de Carvalho, von rund 100 Millionen Hektar, die sich binnen 15 Jahren in Monokulturen umwandeln ließen. Die genannten Flächen liegen in den Bundesstaaten Mato Grosso do Sul, Mato Grosso, Tocantins und Goias – exakt dem Verbreitungsgebiet des Cerrado. Doch damit nicht genug. Pantanal: Größtes Feuchtgebiet der Erde bedroht Szenenwechsel: Mato Grosso do Sul, 12. November 2005. Ein Mann, 65 Jahre alt, legt im geschäftigen Stadtzentrum von Campo Grande zwei Kissen auf den Boden. Er überschüttet sie mit Biosprit, setzt sich darauf und zündet sich an. Francisco Anselmo Gomes de Barros, genannt Francelmo, war Umweltjournalist, Begründer der Umweltbewegung Mato Grosso do Suls, kämpfte ein viertel Jahrhundert gegen die Ethanolproduktion. 1982 hatte er das Gesetz Nummer 328 durchgefochten. Eine Schutzklausel für das größte Feuchtgebiet der Erde, das Pantanal, dessen einzigartiger Artenreichtum heute Ökotouristen aus aller Welt anlockt. Francelmo verhinderte mit seinem Gesetz den Bau einer der größten Ethanolfabriken Brasiliens. Ein Pyrrhussieg, wie es heute scheint. Er verbrannte sich, um eine Aufweichung der Umweltschutzbestimmung im Sinne der Agrarspritlobby zu stoppen. Vergeblich! Die Regierung Mato Grosso do Suls kassierte sein Gesetz im Dezember 2006. Tatsächlich bietet das Bundesland am längst zerfressenen Südrand der Amazonaswälder etwa nach Meinung des Milliardeninvestors Georg Soros ideale Bedingungen für die Agrarspritproduktion: Billige, relativ fruchtbare, ebene Böden, geeignetes Klima, ausreichend Wasser. Soros lässt hier folgerichtig auf über 150.000 Hektar anpflanzen. Angestrebte Verarbeitungskapazität seiner Fabriken: Elf Millionen Tonnen pro Jahr. Noch 2008 soll erstes Soros-Ethanol fließen und eine Rendite bringen, die offenbar viele lockt. Mit Investitionen von rund zwei Milliarden US-Dollar und über 31 neuen Ethanolfabriken rechnet die Landesregierung insgesamt. Die Zuckerrohrproduktion soll bis 2012 gar um 620 Prozent steigen. Für das Pantanal und seine traditionellen Bewohner ein Horror. Zwar hat Lula beteuert, das riesige Feuchtgebiet zu erhalten. Doch die Tragödie spielt längst an seinen Rändern. 76 Indianer wurden im vergangenen Jahr in Brasilien ermordet, so vorläufige Zahlen des Indianermissionsrates (CIMI) – 48 von ihnen starben in Mato Grosso do Sul. Eine der Hauptursachen: Kampf um Land! „Auf weniger produktiven Böden lassen sich hier 70 bis 80 Tonnen Zuckerrohr je Hektar erzielen, auf den Flächen der Guarani-Kaiowá bis zu 120 Tonnen“, erläutert CIMI Koordinator Egon Heck. Für das Agrobusiness seien diese Völker ein unliebsames Hindernis, das es zu beseitigen gelte. Dabei geht es auch um die Sicherung wichtiger Naturressourcen. Zum Beispiel Wasser. Wasser fürs Zuckerrohr, den Menschen der Staub Schon der Anbau verschlingt kostbares Nass in rauen Mengen, Ethanolfabriken aber in regelrechten Unmaßen: drei bis fünf Liter je Liter Alkohol. Die Wassergier der Biospritprofiteure ist auch entscheidender Punkt der umstrittenen Umleitung des Rio São Francisco im Norden Brasiliens, die Lulas Regierung derzeit durchpeitscht. Weit über zwei Milliarden Euro an öffentlichen Geldern soll das Mammutprojekt verschlingen. Unter den Hauptprofiteuren: Zucker- und Ethanolbarone. Schon 2005 frohlockte deren Verbandspräsident, Renato Cunha, die Flussumleitung werde bis zu 130.000 Hektar zusätzliche Anbauflächen in den Bundesstaaten Pernambuco und Bahia schaffen. Die Opfer: wieder einmal Kleinbauern und rund 9.000 hier ansässige Tumbalalá- und Truká-Indianer. „Seit dem Bau des Staudammes von Sobradinho haben wir unsere fruchtbaren Felder am São Francisco verloren und die Fische werden weniger“, berichtet Truká- Schamane Antônio Cirilo de Sá. Auch Antonio Gomes dos Santos, Vizepräsident der Fischervereinigung, wütet gegen die Plantagen in den Wassereinzugsgebieten der Flüsse und Lagunen: „Wir brauchen dieses Land für unseren Reis, Mais, Bohnen, Kartoffeln und Fruchtbäume. Der Ethanol-Boom bringt nicht einmal Arbeitsplätze. Was uns Jobs bringt, ist die traditionelle Flussfischerei.“ Und Roberto Malvezzi, Koordinator der Comissão pastoral da Terra, resümiert: Das Volk verdurstet. Das Zuckerrohr bekommt Wasser im Überfluss.

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