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RegenwaldReport 04/2001

FSC-Siegel in der Praxis

Sehen wir vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr? Regenwaldschutz durch zertifiziertes Holz bleibt ein Mythos

Mythos 1: Zertifiziertes Holz rettet den Wald

Jahre lang klagten Umweltschutzorganisationen den Holzhandel wegen der Zerstörung der Wälder an. Sie erklärten insbesondere Urwaldholz aus den Tropen zum überflüssigen Luxusgut und riefen zum Boykott auf. Das führte zu deutlichen Ertragseinbußen der Holzimporteure. Doch die Tugend des Verzichts ist out! Verbraucher sollen sogar Holz kaufen, wenn sie aktiv die Wälder schützen wollen, lautet die frohe Botschaft. In diesem Sinne fanden sich 1993 im Bereich des Holzhandels ökologische, soziale und wirtschaftliche Interessengruppen zusammen, um nach langen Verhandlungen den Forest Stewardship Council zu gründen. Der FSC definiert weltweit geltende Prinzipien und Kriterien für die Zertifizierung einer „geregelten“ Waldbewirtschaftung. Anhand dieser Richtlinien führen private Unternehmen die FSC-Zertifizierung von Holzfirmen durch. Nachdem bereits weltweit 25 Millionen Hektar Wald zertifiziert wurden, setzten sich der WWF und die Weltbank das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2005 200 Millionen Hektar zu erreichen. Die „Erfolgsgeschichte“ des FSC ist jedoch nicht frei von problematischen Vorkommnissen, vor allem was den Holzeinschlag in tropischen Primärwäldern betrifft. Einer der unangenehmsten Fälle betraf eine zertifizierte Konzession des deutschen Sperrholzplattenherstellers Glunz in Gabun, wo der illegale Handel mit Buschfleisch, also Schimpansen und Gorillas, gang und gäbe war. Nicht der FSC, sondern Rettet den Regenwald untersuchte mit eigenen Finanzmitteln den Fall. Zwei Jahre dauerte es, bis der FSC unter dem Druck der Öffentlichkeit die Zertifizierung wieder zurückzog. Ungeachtet solcher Vorgänge wird die Zertifizierung von Holzfirmen in Urwäldern von großen Umweltschutzorganisationen weiter enthusiastisch vorangetrieben. Aber auch zertifizierte Firmen müssen ihre Produktionsquoten einhalten, was sie nur auf größeren Flächen erreichen, samt nötiger Verkehrsinfrastruktur. Somit entsteht durch den zertifizierten Holzeinschlag eine neue Erschließungsfront im Regenwald.

Mythos 2: Durch die Steigerung des Marktwertes von Tropenholz gibt das FSC-Siegel Wäldern einen wirtschaftlichen Wert

Dieser Mythos wird scheinbar durch neue Daten aus Brasilien gestützt, die zeigen, dass Holzeinschlag einen Zinsertrag von 33 Prozent pro Landeinheit für die Investoren ergibt, während er bei Rinderfarmen nur zwischen 8 und 14 Prozent liegt. Jedoch zeigt die tatsächliche Situation in Amazonien, dass Kahlschlag zur Ackerlandgewinnung und „Forstwirtschaft“ kaum als konkurrierende wirtschaftliche Optionen gesehen werden. Die weitere Ausbreitung der landwirtschaftlich genutzten Gebiete wird durch Subventionen und spezielle Steuererleichterungen gefördert, die so einen billigen Zugang zu neuem Land ermöglichen. Die immer wiederkehrende kurzfristige Umwandlung von Wald in Weideland lohnt sich daher eher als die Investition in neue Methoden der dauerhaften Waldnutzung. Der Einfluss der landwirtschaftlichen Lobby stellt sicher, dass Wald im Naturzustand auch weiterhin als unproduktiv angesehen wird. Unter diesen Umständen kann der FSC keinen bedeutenden Anreiz bieten, um Rinderzüchter und Sojafarmer zu Waldnutzern zu machen.

Mythos 3: Bei einer weltweit steigenden Holznachfrage ist Holznutzung die unvermeidliche Bestimmung für Amazonien.

Holzeinschlag wurde von den politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Nutznießern der Forstindustrie als unvermeidlich für Amazonien definiert. Forstwirtschaft wird als Wissenschaft angesehen, die den Eingriff unserer Spezies in Waldökosysteme rechtfertigt. Immer mehr Forschungsinstitute, Umweltschutzorganisationen und internationale Investmentagenturen stellen Forstwirte ein. Jedoch liegt der Focus der forstwirtschaftlichen Ausbildung auf dem Fällen von Bäumen. Wenn ein Forstwirt vor einem Wald steht, sieht er die Anzahl der Kubikmeter Nutzholz und nicht Ökosysteme. Landnutzungsformen der indigenen Völker und der Flussuferbewohner bleiben eine Randerscheinung in gut gemeinten Entwicklungsprojekten, die nach deren Auslaufen schnell in Vergessenheit geraten. Dabei hat für die Waldbewohner der intakte Wald einen hohen Stellenwert, der in seiner Gesamtheit erhalten werden muss, um weiterhin seine enorme Vielfalt an Produkten zu liefern. Der industrielle Holzeinschlag wird niemals diese Effizienz und Nachhaltigkeit der traditionellen Landnutzung erreichen können. Das Sortiment der wirtschaftlichen Alternativen zur Holznutzung enthält Waldprodukte wie etwa Paranüsse, aus Bäumen gewonnene Öle und Essenzen, Guarana, Arzneipflanzen, Babassu, Honig, kunsthandwerkliche Produkte und eine unendliche Vielzahl von Tropenfrüchten, für die bereits funktionierende Absatzmärkte bestehen. Die Vielfalt der Nutzungsformen macht die lokale Bevölkerung weniger abhängig von Wirtschaftsmonopolen und damit weniger anfällig für die Tücken des globalen Marktes.

Mythos 4: Der Holzeinschlag durch zertifizierte Firmen regt das örtliche Wirtschaftswachstum an

Die Holzindustrie in Amazonien ist eine nicht nachhaltige, krisengeschüttelte Wirtschaftsform. Während Zeiten des wirtschaftlichen Wachstums verstärkte sie die Landflucht, da die lokale Bevölkerung mit der Hoffnung auf Arbeit in den Sägewerken in die Städte gelockt wird. Produktions- und Finanzkrisen des Wirtschaftszweiges sind jedoch alltäglich, hervorgerufen durch die schwankende Nachfrage eines instabilen Marktes, Geldstrafen und Kontrollen durch staatliche Umweltschutzorganisationen, internationale Tropenholzboykotte, Lieferschwierigkeiten von immer seltener werdenden Hölzern und durch Transportprobleme. In der stark angestiegenen städtischen Bevölkerung spiegeln sich die Schwierigkeiten der Holzindustrie in der Arbeitslosenzahl wider. Das Problem zeigt sich auch am FSC-Vorzeigebetrieb Precious Woods mit Sitz in Itacoatiara, dem Hauptzentrum für Holzeinschlag im Amazonasgebiet. Die Schaffung von 300 Arbeitsplätzen wurde zwar gern gesehen, hatte aber nur geringen Einfluss auf die örtlichen Arbeitlosigkeit. Allerdings hat die Existenz der Firma neue Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung der Holzindustrie geweckt. Lokale Bemühungen für eine vielfältige Wirtschaftsstruktur zur Stärkung der regionalen Märkte gerieten so wieder in den Hintergrund.

Mythos 5: Zertifizierte Holzfirmen sind zu vollständiger Transparenz verpflichtet

Bei dem Chaos und der Anarchie, die in Brasiliens Holzindustrie herrschen, scheint die Zertifizierung den nötigen Anreiz und die nötige Abschreckung zu bieten, Firmen zu besserem Verhalten zu bewegen. Wenn es jedoch um den Gewinn geht, lassen sich selbst Vorzeigefirmen nicht davon abhalten, sich auf undurchsichtige Geschäfte einzulassen. Ein Beispiel dafür ist der Fall der umstrittenen Acuariaquara-Lieferungen von Precious Woods Amazon. Acuariquara ist ein haltbares Tropenholz mit einem vernachlässigbar kleinen lokalen Markt. Die internationale Nachfrage nach dieser Holzart entstand, als sich die Stadt Rostock zum Einsatz von zertifiziertem Acuariquaraholz für Bauprojekte im Küstenbereich entschied. Dieser Vertrag wurde als transatlantische Partnerschaft zum Schutz des Regenwaldes gefeiert. Precious Woods Amazon konnte jedoch nicht genügend Holz bereitstellen. Um die Lieferung zu ergänzen, wurde Holz über die österreichische Firma MW Florestal an Ort und Stelle von Dritten aus dem Umland zugekauft. Zur gleichen Zeit gab es in den benachbarten Gebieten von Precious Woods Amazon eine Reihe von Fällen illegalen Holzeinschlags zur Gewinnung von Acuariquara. In einem Fall wurde die Genehmigung zum Kahlschlag einer kleinen Fläche für landwirtschaftliche Zwecke dazu benutzt, Hunderte von Acuariquara- Bäumen mit den Maschinen und Arbeitskräften der Firma aus einem normalerweise gesetzlich geschütztem Uferbereich zu holen.

Mythos 6: Selektiver Holzeinschlag erhöht die CO2-Bindung in tropischen Wäldern

Selektiver Holzeinschlag hält den Wald in einem permanenten Zustand der Regeneration, da durch das Entfernen von Holz das Wachstum junger Bäume angeregt wird. Damit begründen diejenigen, die den Holzeinschlag im Primärwald unterstützen, ihre Aussage, dass selektiver Holzeinschlag die Bindung von CO2 erhöht und damit zur Reduzierung der Treibhausgase beiträgt. Dieser Argumentation zufolge haben unberührte Primärwälder eine geringere CO2-Bindefähigkeit und daher einen geringeren Wert bei der Klimakontrolle als bewirtschaftete Wälder. Derartige Annahmen hängen jedoch entscheidend von dem Zeitraum ab, in dem das CO2 im entnommenen Holz gebunden bleibt, und nicht zuletzt davon, dass die Bewirtschaftung in den Wäldern für alle Zeiten in dieser Form fortgesetzt wird. Ein kurzer Blick auf die Verarbeitung und den Verbrauch von Tropenholz zeigt, dass in den Endprodukten kaum dauerhaft CO2 gebunden wird. Etwa 70 Prozent der Stämme, die in den Sägewerken im Amazonasgebiet ankommen, enden als Abfall, während nur 30 Prozent zu gesägten Brettern verarbeitet werden. Das Abfallholz wird normalerweise entweder verbrannt oder, wie im Fall von Precious Woods Amazon, zur Produktion von Holzkohle verwendet, wodurch sofort CO2, das vorher im Wald gebunden war, in die Atmosphäre entweicht.

Mythos 7: Viele Verbraucher in Europa und den USA sind bereit, für Produkte mit Ökosiegel mehr zu zahlen.

Forschungen zeigen, dass der Markt für „Ökoprodukte“ sehr beschränkt ist. Die Hälfte der Konsumenten in Deutschland achten auf Produkte mit Ökosiegel, aber nur ein Drittel würde fünf Prozent mehr dafür bezahlen. Diese Statistiken berücksichtigen nicht das im Alltag oft wechselhafte Verbraucherverhalten. Zudem hat zertifiziertes Tropenholz, das an eine umweltbewusste Eliteschicht der ersten Welt verkauft wird, nur wenig Einfluss auf die weltweite Dynamik des Holzhandels. In Brasilien weren 85 Prozent des Holzes aus dem Amazonasgebiet auf Binnenmärkten verbraucht. Es sind diese Märkte, die zur Unterstüzung des illegalen Holzeinschlags in der Region beitragen, der auf 80 Prozent geschätzt wird. Brasilianer mit geringem Einkommen können sich den Luxus einer durch Zertifizierung ermöglichten Auswahl nicht leisten.

Was tun?

Viele Menschen glauben, der FSC werde die lokale Bevölkerung in kleinen Initiativen unterstützen. Tatsächlich unterstützt der FSC jedoch hauptsächlich die industrielle Holzwirtschaft in den noch verbleibenden Primärwäldern. Gegenwärtig sind 96 Prozent des zertifizierten Waldes im Besitz von Großunternehmen oder Regierungen. Die Zertifizierung hat wahrscheinlich nur geringe Auswirkungen auf einen Stopp der Zerstörung des Tropenwaldes. Unterdessen öffnet der FSC jedoch Tropenholzmärkte in Europa und den USA, die während der Boykottkampagnen der 90er Jahre verschlossen waren. Beachtliche Finanzbeträge und menschliche Ressourcen werden in zertifizierten Holzeinschlag investiert, obwohl diese Mittel besser für sinnvollere Arten des Waldschutzes ausgegeben werden sollten. Anstatt einen Mythos durch Kauf zu unterstützen, sollten sich am Regenwaldschutz interessierte Einzelpersonen und Organisationen besser an den folgenden Forderungskatalog halten: 1. Beendigung aller Pläne zur Zertifizierung von Tropenholz aus Primärwäldern 2. Kompletter Boykott von Holz aus Primärwäldern in Europa und Nordamerika 3. Unterstützung von Initiativen für fairen Handel lokaler Gemeinden mit anderen Waldprodukten 4. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, in Sekundärwäldern erzeugtes Holz kaufen 5. Die verstärkte Kontrolle des illegalen Holzeinschlags und eine Verschärfung der Gesetze politisch einfordern 6. Anstatt in Holz in andere Waldprodukte investieren, die echte wirtschaftliche Alternativen für die traditionelle Bevölkerung darstellen 7. In Wiederaufforstungsmaßnahmen von entwaldeten Gebiete investieren Von Nicole Freris und Klemens Laschefski. Nicole Freris entwickelt mit der indigenen Bevölkerung im Amazonasgebiet alternative Wirtschaftszweige. Klemens Laschefski war Experte für tropische Wälder beim BUND. Er lebt zurzeit in Brasilien und stellt seine Dissertation über Zertifizierung und nachhaltige Entwicklung fertig. (Eine Langfassung des Textes senden wir Ihnen auf Wunsch zu oder steht unter www.regenwald.ORG)

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