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RegenwaldReport 02/2007

Biotreibstoffe: Ökologisch und sozial – eine Schnapsidee

Der weltweite Run auf Biotreibstoffe heizt die brasilianische Alkoholproduktion an, macht Landarbeiter zu „Ethanol-Sklaven“ und zerstört sensible Ökosysteme

Sobald die Sonne aufgegangen ist, schwirren Macheten durch die Luft. Mit kräftigen Schlägen ernten die Männer das reife Zuckerrohr. Nur in den frühen Morgenstunden ist die Hitze einigermaßen erträglich. Danach steigen die Temperaturen auf weit über 30 Grad. Die Blätter des Zuckerrohrs sind messerscharf. Deswegen müssen die Arbeiter ständig aufpassen, dass sie sich nicht verletzen, zumal in Brasilien die Zuckerrohr-Ernte oft reine Handarbeit ist. In der hügeligen Landschaft können selten Maschinen eingesetzt werden.

Bevor konventionelle Zuckerrohr-Farmer ihre Felder ernten, „reinigen“ sie diese per Feuer. Sie legen kontrollierte Brände, die die großen Blätter der Pflanzen absengen, jedoch den Zuckerrohr-Stengel unversehrt lassen. Das Brennen ist oft gefährlich, erzeugt gigantische Mengen von gesundheitsschädlichem Qualm und tötet viele Nützlinge und Kleintiere. Der Nordosten als ein traditioneller Standort der Zuckerrohr-Produktion ist immer noch das Armenhaus Brasiliens und gleichzeitig ein Beispiel für frühe Globalisierung und ein Ökodesaster. In der regenreichen hügeligen „Zona da Mata“ wird seit dem Ende des 16. Jahrhunderts Zucker für den Weltmarkt produziert.

Mit seinem Anbau wurden in Brasilien die Plantagenwirtschaft und der Sklavenhandel eingeführt. Die Zuckerrohr- Barone waren mitverantwortlich für die Abholzung des Küstenregenwaldes bis auf etwa acht Prozent der Ursprungsfläche und die Auslaugung des Bodens durch die Monokulturen.

Weil die weltweite Nachfrage nach Ethanol als Biosprit sprunghaft gestiegen ist, planen Zuckerbetriebe im Nordosten bereits die Ausweitung des lukrativen Ethanol-Geschäfts. Damit droht die Gefahr, dass bei einem raschen Ausbau der Anbauflächen ein nicht nachhaltiges Modell der Agrarwirtschaft gefördert würde, das zwar ökonomisches Wachstum, aber kaum Lösungen für die mit ihm verbundenen ökologischen und sozialen Probleme bietet.

Brasilien ist mit einer Anbaufläche von sechs Millionen Hektar weltweit der größte Erzeuger von Zuckerrohr. Rund 40 Prozent der Produktion wird derzeit zu Ethanol als Treibstoff für Kraftfahrzeuge verarbeitet. Der Anbau von Zuckerrohr, aus dem allein neun Milliarden Liter Ethanol pro Jahr für den Binnenmarkt produziert werden, verbraucht etwa zwei Millionen Hektar, was 3,5 Prozent der landwirtschaftlichen Ackerf1äche Brasiliens entspricht.

Derzeit befindet sich die brasilianische Zuckerwirtschaft in Aufbruchstimmung. Die Branche profitiert vom weltweiten Boom bei der Nachfrage nach so genannten Biotreibstoffen als Ersatz für Erdöl. Brasilianische Politiker und Agronomen wollen, dass es bis 2013 fast zu einer Verdreifachung der Anbaufläche für Zuckerrohr in Brasilien kommen werde. Dafür werden etwa zehn Prozent der gesamten Ackerfläche benötigt.

In den südlichen Landesteilen ist seit den 70-er-Jahren durch die staatlich geförderte Produktion von Alkoholtreibstoff (PROALCOL-Programm) die weltweit größte Konzentration des Zuckerrohranbaus entstanden. Es handelt sich fast ausschließlich um ökologisch gefährliche Monokulturen, die auf Großgrundbesitz beruhen und die Landkonzentration erhöhen. Eine Ausdehnung der Anbauflächen findet inzwischen auch wegen der Ethanol-Nachfrage aus Europa und den USA vor allem im Mittelwesten statt. Die Expansion erfolgt hier im ohnehin stark bedrohten Ökosystem Cerrado (Baumsavanne).

Zudem werden Oberflächengewässer und damit das Pantanal und andere Feuchtgebiete durch Agrarchemikalien und Sedimenteintrag belastet.

Die Beschäftigungseffekte des Zuckerrohranbaus sind im Süden gering, weil er im Vergleich zum Nordosten weniger hügelig ist. Deswegen werden immer mehr große Maschinen eingesetzt. Die lokale Bevölkerung muss teilweise abwandern, dadurch steigt der Druck auf unbesiedelte Regionen, etwa am Rande des Amazonasbeckens.

2006 standen Zucker- und Alkoholexporte mit acht Milliarden Dollar bereits an zweiter Stelle bei Brasiliens Agrarprodukten. Eine neue Prognose nennt die Notwendigkeit von weiteren 3,6 Millionen Hektar für die Ethanolproduktion, um die Nachfrage aus den USA, Europa und Japan zu bedienen. Anfang 2007 vereinbarte die US-Regierung eine strategische „Ethanol-Allianz“ mit Brasilien, und auch die EU setzt auf Exporte von Biotreibstoffen und schielt dabei nach Brasilien, obwohl mittlerweile diverse Studien Pflanzensprit als Energiekiller entlarvt haben. Eine der aktuellsten wurde Ende April 2007 von der Schweizer Energiestiftung SES veröffentlicht. Sie kommt zum Schluss, dass die Pflanzentreibstoffe keineswegs CO2-neutral sind, denn ein Großteil der Energie, die im Biokraftstoff erhalten ist, muss im Produktionsprozess investiert werden. „Rechnet man die Energie- und CO 2-Bilanz dieser Treibstoffe hoch, zeigt sich, dass diese sehr schlecht ist“, so der SES-Experte Bernhard Piller. Von „Bio“ könne hier keine Rede sein. Piller gibt auch zu bedenken, dass der zunehmende Anbau von Treibstoffpflanzen die Lebensmittelsicherheit gefährde.

In Brasilien wird der Ethanol-Boom bereits zum sozialen Sprengsatz. Im März 2007 besetzten 800 Frauen der Bauernorganisation „Via Campesina“, die größte Ethanolfabrik des Landes, die zum US-amerikanischen Konzern CARGILL gehört. Die Besetzung war Teil der Aktionswoche „Frauen verteidigen das Leben gegen Agrobusiness“. In einer Erklärung hieß es dazu, „die starke Ausweitung des industriellen Zuckerrohranbaus hat Umweltzerstörung und -verschmutzung durch das Abbrennen der Felder einschließlich dadurch hervorgerufener Atemwegserkrankungen, unmenschliche Arbeitsbedingungen sowie die weitere Konzentration von Landbesitz zur Folge, die zu einer Vertiefung der krassen sozialen Unterschiede in Brasilien führt“.

Laut Angaben der Landpastorale (CPT), einer ökumenischen Einrichtung der katholischen Kirche, von Lutheranern und Methodisten für brasilianische Landarbeiter, wurden allein im vergangenen Jahr etwa 40.000 Familien von ihrem Land vertrieben oder zwangsgeräumt – also mehr Familien, als im Jahresdurchschnitt durch staatliche Landzuweisung zu eigenem Grund und Boden gekommen sind.

Die CPT kritisiert, der Ethanol-Boom sei dafür mitverantwortlich und zerstöre darüberhinaus das Ökosystem Cerrado und stelle eine immer stärkere Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion dar. Die CPT fordert daher, die Abhängigkeit von der Zuckerrohrwirtschaft und die Grundbesitzkonzentration abzubauen und endlich eine konsequente Landreform umzusetzen.

Die extrem ungleiche Landverteilung ist eine der Hauptursachen der Armut in Brasilien. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung besitzen rund 80 Prozent des Landes. Viele Flächen bleiben ungenutzt und dienen als Spekulationsobjekte. Rund 4,8 Millionen brasilianische Familien sind landlos, während 4.000 Großgrundbesitzer über 85 Millionen Hektar Land verfügen.

Die wirtschaftliche Misere treibt Zehntausende Menschen als „Ethanol-Sklaven“ in die Zuckerrohr-Anbaugebiete im Bundesstaat Sao Paulo.

In der Kleinstadt Palmares Paulista beipielsweise hausen sie in gefängnisähnlichen Unterkünften. Auf den bis zum Horizont reichenden Zuckerrohr- Plantagen schuften die bettelarmen Hilfsarbeiter und verwirklichen das, was Präsident Lula die „Energie-Revolution“ nennt. „Sie besitzen nur die Kleidung, die sie tragen“, berichtet Valeria Gardiano, Chefin vom Sozialamt in Palmares, „und bringen ihre unterernährten Kinder und kranken Schwiegermütter mit. Wir tun unser Bestes, aber die Lage explodiert.“

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